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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Aktuelle Situation in den Strafverfahren gegen argentinische Militärs bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth Darstellung vom Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, Sprecher der Koalition gegen die Straflosigkeit Vorsitzender des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) 1. Die Arbeit der Koalition gegen Straflosigkeit seit 1998 ist als erfolgreich anzusehen – mit den nachfolgend beschriebenen Einschränkungen. Ausgangssituation war 1998 eine weitgehende Straflosigkeit der Menschenrechtsverbrechen in Argentinien durch Amnestie- und Straflosigkeitgesetze. In Deutschland sollten nach dem spanischen Vorbild Ermittlungen und eine Strafverfolgung der Militärs durch deutsche Justizbehörden initiert werden. Nach anfangs zögerliche Einstellung hat die Staatsanwaltschaft umfangreiche Ermittlungen zu den knapp 40 von der Koalition eingereichten Fällen angestellt, u.a. durch die Vernehmung von zahlreichen Zeugen in Nürnberg und in der deutschen Botschaft in Buenos Aires. Diese führten im Jahre 2001 zu drei Haftbefehlen gegen Militärs durch das Amtsgericht Nürnberg-Fürth im Falle der ermordeten Elisabeth Käsemann gegen den Ex-General Suarez Mason u.a. Auf den Haftbefehlen basierend stellte die Bundesregierung Auslieferungsersuchen gegen die drei Militärs, die von der argentinischen Regierung ebenso abschlägig beschieden wurden wie zuvor gestellte Rechtshilfeersuchen, in denen es u.a. um das Begehren der deutschen Behörden um Vernehmung der Militärs ging. Als bisher einzige westeuropäische Regierung legte die deutsche Regierung über argentinische Anwälte dagegen Rechstmittel ein. Die Verfahren über diese Rechtsmittel sind bis jetzt anhängig. 2. Am 28.11.2003 erließ das Amtsgericht Nürnberg
wegen der Tötungen von Elisabeth Käsemann und Klaus Zieschank
Haftbefehle gegen die ehemaligen Juntachefs Videla und Massera sowie gegen
den Ex-General Suarez-Mason. Trotz zweifelhafter Erfolgsaussichten ist bereits das Stellen der Auslieferungsersuchen als grosser Zwischenerfolg zu betrachten : Es handelt sich um die ersten Ersuchen gegen den ehemaligen Junta-Chef Videla. Die juristische Begründung der Verantwortlichkeit der Militärs für die Tode aufgrund mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft geht auf die Rechtsprechung gegen ehemalige DDR-Regierungsfunktionäre und ein von der Koalition eingereichtes Gutachten des Freiburger Max-Planck-Institutes für Internationales und Ausländisches Strafrecht zurück. 3. Grössere Probleme gibt es in den weiteren zur Anzeige gebrachten Fällen: 3.1. Im Ermittlungsverfahren gegen den Mercedes Benz-Manager Juan Tasselkraut wegen Beihilfe zum Mord an dem Gewerkschfter Diego Nunez durch das Überreichen einer Adresse an die Militärs stellte die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth das Verfahren am 27.11.2003 gem. § 170 Abs. 2 StPO mangels Beweisen ein. Die beiden Hauptargumente der Staatsanwaltschaft waren, dass die Aussagen des Hauptbelastungszeugen Hector Ratto widersprüchlich seien und das im übrigen ein Tötungsdelikt zum Nachteil von Diego Nunez deswegen nicht angenommen werden könne, da dieser zwar „verschwunden“ sei, dies aber nicht die für eine Anklageerhebung erforderliche Sicherheit von einer Tötung begründen würde. Denn es habe auch immer wieder Fälle gegeben, in denen Verschwundene auch wieder aufgetaucht seien. Gegen diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft legte Rechtsanwalt Kaleck als Vertreter der Familie Nunez und des Folteropfers Hector Ratto Beschwerde ein und begründete diese ausführlich. Er beantragte die Anklageerhebung gegen Tasselkraut, hilfsweise die Wiederaufnahme der Ermittlungen. Die Beschwerde ist derzeit bei der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg anhängig. (vgl. zu den Einzelheiten des Falles und der Beschwerde www.labournet.de, www.kritischeaktionare.de sowie www.rav.de ) 3.2. Ebenfalls am 27.11.2003 stellte die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth das Verfahren zum Nachteil der nicht deutschen Opfer aus der Völkermordanzeige der Rechtsanwälte Richter und Kaleck vom 20.03.2003 ein. Der Generalbundesanwalt hatte kurz nach Anzeigeeinreichung beschlossen, kein Ermittlungsverfahren wegen Völkermordes einzuleiten, da die Opfergruppe eine politische sei, womit keine Tatbestandsmäßigkeit des Völkermordes vorliege. Wegen des von den Anzeigenerstattern vorgebrachten Gesichtspunkt der universellen Strafbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, aus denen sich die Zuständigkeit der deutschen Justiz ergebe, war das Verfahren zur weiteren Ermittlung und Entscheidung an die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth weitergeleitet worden. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren nunmehr ein, da das Prozesshindernis der mangelnden Anwendbarkeit des deutschen Strafrechtes gegeben sei. Gegen diese Einstellungsentscheidung legten die Rechtsanwälte Richter und Kaleck Beschwerde ein und begründete diese ausführlich. Die Beschwerde ist ebenfalls derzeit bei der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg anhängig. Lehnt die Generalstaatsanwaltschaft die Anklageerhebung bzw. die Wiederaufnahme der Ermittlungen ab, wäre Antrag auf gerichtliche Entscheidung vor dem Oberlandesgericht Nürnberg zu stellen. 4. Die ersten Reaktionen in Argentinien auf die Nürnberger Entscheidungen waren positiv. Es besteht bei den Familienangehörigen kein Zweifel daran, dass die gemeinsame Arbeit und in Argentinien sowie in Deutschland ein großer Fortschritt sei. Insbesondere über den Erlaß der Haftbefehle und deren Begründung war man erfreut. Starke Kritik wurde von der Gruppe an den Einstellungsbescheiden der Staatsanwaltschaft im Falle Mercedes Benz und an der Begründung, dass das Schicksal der Verschwundenen nicht weiter aufzuklären sei, erhoben. Bei allen anderen Gesprächspartner wurde der Fall Mercedes Benz als politisch sehr wichtig eingeschätzt. Die Begründung und die Argumentation der Staatsanwaltschaft, man kenne das genaue Schicksal der Verschwundenen nicht, es könne sein, dass sie wiederaufgetaucht seien, löste geradezu Entsetzen aus. Es bestand eine einhellige Meinung dahingehend, dass die gemeinsame Arbeit weitergehen müsste, bis es Wahrheit und Gerechtigkeit für die Opfer der argentinischen Militärdiktatur gäbe. Insbesondere Elsa Oesterheld, die Angehörige von 7 Verschwundenen brachte es noch mal auf den Punkt, als sie aussprach, dass trotz aller Fortschritte sowohl auf argentinische als auch auf deutscher Seite sie immer noch keinerlei Einzelheiten über das Verschwinden ihrer gesamten Familie wüsste. 5. Durch die Auslieferungsersuchen haben sich somit weder die Arbeit der Koalition gegen Straflosigkeit noch die Arbeit der Staatsanwaltschaft erledigt. Die Angehörigen, aber auch die Menschenrechtsgruppen halten ein weiteres deutsches Engagement für unbedingt erforderlich. Es versteht sich von selbst, dass der weitere Weg der Auslieferungsersuchen auch durch die Koalition weiterverfolgt wird. Für den im Moment nicht wahrscheinlichen Fall der Auslieferung nach Deutschland müsste die Nebenklage gegen Videla u.a. vorbereitet werden. Im Mercedesfall wird sowohl juristisch als auch öffentlich vehement gegen die Einstellung des Verfahrens vorgegangen. Von zahlreichen Gesprächspartnern wurde die Meinung geäußert, dass es der Nürnberger Staatsanwaltschaft zwar einfach gefallen zu sein scheint, gegen die alten Militärs vorzugehen, die zu dem bereits wegen anderer Verfahren unter Hausarrest stünden, aber die mächtige Firma vor einer Strafverfolgung verschonen wolle. Dabei geht es zunächst einmal unmittelbar um den Fall selbst, der von allen Gesprächspartnern als emblematisch aufgrund der Verbindung von Unternehmen und Militärs bei der Beseitigung von aktiven Gewerkschaftern beim Verschwinden der 15 Gewerkschafter bei Mercedes Benz eingestuft wird. Es muß insbesondere gegen das Argument angegangen werden, dass Schicksal der Verschwundenen sei nicht hinreichend sicher, deswegen könne eine Strafverfolgung in Deutschland nicht stattfinden. Schliesslich muss in den noch anhängigen Einzelfällen
jeder denkbare Ermittlungsaufwand betrieben werden, um das Schicksal der
Verschwundenen und Ermordeten aufzuklären. Diese notwendige Fortsetzung
der Ermittlungen kann jedoch nur stattfinden, wenn die Staatsanwaltschaft
ihre realitätsferne Sicht der Geschehnisse in Argentinien und ihren
darauf beruhenden rechtlichen Standpunkt aufgibt. Wie wichtig die Arbeit
in den Einzelfällen sein kann, zeigen die beiden letzten von der
Koalition eingereichten Fälle Kegler-Krug und Almiron : alleine die
Anzeige im Falle der Verschwundenen Marlene Kegler-Krug anlässlich
des ökumenischen Kirchentages 2003 hat grosse Aufmerksamkeit sowohl
bei der evangelischen Kirche in Argentinien als auch der in Deutschland
bekommen. Im Falle des nach Köln geflüchteten Pedro Almiron
hat ebenfalls alleine die Anzeigenerstattung in Deutschland in seiner
Heimatprovinz für Aufsehen sowohl bei der Lokalpresse als auch auch
bei bisher zur Anzeigenerstattung in Argentinien nicht bereiten Opfern
der Militärdiktatur. |