LabourNet Germany Dies ist das LabourNet Archiv!!! Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Home Über uns Suchen Termine

 

Mercedes Benz Argentinien

"Mord, Geiselnahme und Gefährliche Körperverletzung"

- Interview mit Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck zur Repression gegen Gewerkschafter eines Mercedes Benz Werkes während der Militärdiktatur in Argentinien -

Einige Monate nach dem Militärputsch in Argentinien wurde von Januar bis August 1977 eine Gruppe von mindestens 20 Gewerkschaftern aus dem Mercedes Benz Werk in González Catán in der Nähe von Buenos Aires verhaftet und später bis auf eine Ausnahme ermordet. Sie zählen zu den 30.000 bis 50.000 Verschwundenen und Ermordeten, welche bis zum Ende der Diktatur 1983 Opfer der politischen Repression gegen Oppositionelle wurden. Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck hat im Fall der verschwundenen Mercedes Benz-Gewerkschafter im letzten September Strafanzeige wegen "Mord, Geiselnahme und Gefährlicher Körperverletzung" gegen den damaligen Werksleiter der Mercedes Niederlassung Juan Tasselkraut, unbekannte weitere Verantwortliche des Konzerns in Argentinien und Stuttgart sowie Ex-Junta Mitglieder gestellt. Tasselkraut ist heute Technischer Direktor des Werkes. Ende Juni stellte Kaleck in Argentinien Nachforschungen an, um die Anzeige weiter zu fundieren und die direkte Verantwortung des Mercedes Führungspersonal für die Morde nachzuweisen. Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth mit der Bearbeitung des Verfahrens begonnen.

Herr Kaleck, Sie haben zwei Woche in Argentinien verbracht, um im Falle der ermordeten Gewerkschafter weiteres Belastungsmaterial gegen Mercedes Benz zu recherchieren. Welche Entwicklung nimmt der Fall?

Ich habe mich im Auftrag des Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) in Argentinien mit Familienangehörige von Verschwundenen, Zeugen und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen getroffen. In erster Linie hat mich der Fall der verschwundenen Gewerkschafter im Mercedes Benz Werk in González Catán interessiert. Dort hat sich seit der Anzeigeeinreichung im September 1999 einiges getan. Im letzten Jahr haben ehemalige Mercedes-Arbeiter begonnen, an das Verschwinden ihrer Kollegen zu erinnern. So fand bereits am 28. August eine Demonstration und ein Gedenkakt vor dem geheimen Haftzentrum Campo de Mayo statt, wo die meisten der verschwunden Gewerkschafter gefoltert und letztlich auch umgebracht wurden. Es hat sich im Anschluss an die Ermittlungen und die Anzeigeneinreichung eine kleine Gruppe von ehemaligen Mercedes Benz Gewerkschaftern gebildet, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten aktiv geworden ist. Vor einigen Wochen haben sie Flugblätter vor dem Werk in González Catán verteilt, allerdings hat sie nach kurzer Zeit der Werksschutz daran gehindert. Die Resonanz auf die Aktivitäten ist unter den heute bei Mercedes Beschäftigten nicht zuletzt aufgrund der momentan äußerst schlechten wirtschaftlichen Situation in Argentienien eher gering, allerdings finden sich mehr und mehr ehemalige Betriebsräte und Gewerkschafter zusammen, um daran zu erinnern, was ihren Kollegen zugestoßen ist und dafür zu kämpfen, dass ihnen Gerechtigkeit widerfährt.

Auch der drittgrößte Gewerkschaftsverband CTA (Central de Trabajadores Argentinos) unterstützt jetzt offiziell das Anliegen. Die CTA will mit uns offiziell bei der weiteren Bearbeitung der Fälle kooperieren. Diese Zusammenarbeit ist nicht nur deswegen wertvoll, weil es die Bedeutung unserer Arbeit auch für die argentinischen Gewerkschaften von heute hervorhebt, sondern auch, weil die CTA selbst 1998 bei Ermittlungsrichter Baltazar Garzón in Spanien eine Klage wegen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit der argentinischen Militärdiktatur überreicht hat. In der Anzeige wird die Beteiligung sowie die Finanzierungen der Militärdiktatur durch die Großunternehmen unter Beweis gestellt.

Die Umstände der Verhaftung 1977 legen nahe, dass es eine enge Zusammenarbeit zwischen der Werksleitung von Mercedes und der Polizei gegeben hat, was eine direkte Verantwortung des Konzerns für die Ermordungen einschließt. Konnten Sie weitere Details recherchieren, welche diese Vermutung bestätigen?

Hier muss man zunächst den politischen Kontext sehen: Nach heutigem Erkenntnisstand steht fest, dass die Militärs nicht aus eigenem Antrieb und nicht isoliert am 24.3.1976 die Macht ergriffen und dann zwischen 30.000 und 50.000 Menschen umgebracht haben. Vielmehr sieht es so aus, dass die Militärs sich mit wichtigen gesellschaftlichen und ökonomischen Gruppen zusammengeschlossen haben, um ein bestimmtes polit-ökonomisches Projekt durchzusetzen. Hier sind in erster Linie die Großunternehmen und teilweise Multinationalen Unternehmen zu nennen, die ein klares Interesse daran hatten, dass der kämpferische Teil der Arbeiterbewegung kaltgestellt wurde, welcher sich von 1973 und 1976 - in einer Periode zwischen zwei Militärdiktaturen - sehr engagiert hat. Von der Repression war in erster Linie der sogenannte "Gürtel der Subversion" im Norden der Hauptstadt betroffen, wo die großen Automobilkonzerne wie Ford, Peugout und Mercedes ihre Niederlassungen haben.

Gewerkschafter aller genannten Unternehmen waren von Repression betroffen. Die Umstände legen dabei nahe, dass die Militärs nicht wahllos Arbeiter aus den Fabriken entführt und ermordet haben, sondern dass vielmehr die Unternehmen die Namen und Adressen der Gewerkschafter genannt haben. Im Fall Ford wurde das bereits nachgewiesen. Hier hat auf dem Betriebsgelände ein eigenes Folterzentrum bestanden. Im Fall von Mercedes ist man wohl ein wenig diskreter vorgegangen. Aber es konnte ein konkreter Fall ermittelt werden, in dem der damalige Werksleiter Juan Tasselkraut dem Militär die Adresse eines ihm bis dahin ungekannten Gewerkschafters übergeben hat. Dieser wurde in der anschließend Nacht am 13. August 1977 verhaftet und gilt seitdem als verschwunden.

Die Repression gegen die Gewerkschaftsaktivisten weist somit ein Muster auf, das sicher ohne weitere Beweise noch nicht dazu geeignet ist, eine strafrechtliche Verantwortung für einzelne Manager in der Leitung von Mercedes Benz in Argentinien und Deutschland zu begründen. Die Konzernleitung ist jedoch politisch und moralisch dafür verantwortlich zu machen, was mit den Gewerkschaftern passiert ist.

Sie konnten bereits jetzt weitere Indizien für eine sehr enge Verflechtung zwischen Mercedes Benz und den Militärs herausfinden ...

Ja, nach dem Putsch wurde ein neuer Werkschutz eingestellt, der sämtlichst aus Polizeibeamten aus der Provinz Buenos Aires bestand, welche teilweise in Repressionsfälle verwickelt waren. Insbesondere der Subcomisario Rubén Luis Lavallén ist zu nennen. Er war Chef des Werkschutzes und stellvertretender Chef einer Untersuchungseinheit der Polizei in San Justo. In Argentinien hat Lavallén es zu trauriger Berühmtheit gebracht, weil er 1984 als einer der ersten Polizisten und Militärs entdeckt wurde, der ein während der Diktaturzeit entführtes Kind in seiner Gewalt hatte. In ihrem Plan linke und demokratische Ideen auszurotten, hatten die Militärs in Argentinien nicht nur die damals kämpfenden Oppositionellen im Visier, sondern auch deren zweite und dritte Generation. Schwangere gefangene Mütter brachten ihre Kinder in besonders isolierten Teilen der Folterzentren zur Welt. Anschließend wurden die Eltern umgebracht, während die Kinder den Militärs zugeführt wurden. Mercedes' Werkschutzchef Lavallén hat Paula Logares zwangsweise adopotiert. Sie war zum Zeitpunkt der Entführung ihrer Eltern 23 Monate alt. Ihre Eltern sind zuletzt in der Polizeistelle lebendig gesehen, wo Lavallén Vizechef war. 1983 entdeckte die Großmutter von Paula Logares ihre Enkelin wieder. 1984 wurde dieser Fall als erster dieser Art vor einem Gericht verhandelt. Lavallen wurde zunächst zu einer Freiheitstrafe von drei Jahren verurteilt. Paula Logares konnte aber von ihren Angehörigen aufgenommen werden.

Ist Ihnen bekannt wie lange Lavallén Chef des Mercedes Werkschutzes war?

Nicht genau, aber wir fordern Mercedes Benz auf, alle diesbezüglichen Personalakten auf den Tisch zu legen. Wir gehen davon aus, dass Lavallén nicht der einzige Repressor ist, der bei Mercedes Benz gearbeitet hat. Strafrechtlich verantwortlich ist in diesem Fall außer Lavallén selbst wohl niemand zu machen, aber ich denke, es ist einfach ein moralisches Gebot, dass Mercedes heute offenlegt, mit welchen Menschen sie damals den Werkschutz betrieben haben. Wir wissen, dass Lavallén selbst bis 1984 beim Werkschutz gearbeitet hat und er anschließend aufgrund der großen Aufmerksamkeit, die sein Prozess erregte, aufhören mußte. Einzelne aus seiner Gruppe haben jedoch noch bis Ende der 80er Jahre beim Werkschutz gearbeitet.

Die Anzeige im Fall der verschwundenen Gewerkschafter nennt ja neben der Militärjunta und Tasselkraut auch unbekannte Personen aus der Konzernleitung in Stuttgart als Verantwortliche. Wie hat der Konzern denn bisher darauf reagiert?

Die Anzeige richtet sich gegen unbekannte Verantwortliche bei Mercedes Benz, oder vielmehr jetz Daimler-Chrysler, sowohl in Argentinien als auch in Deutschland. Das habe ich in der Anzeige erwähnt, weil mir klar ist, dass Tasselkraut nicht der Alleinverantwortliche für die Zusammenarbeit zwischen Mercedes und dem Repressionsapparat war, sondern dass dies unter Billigung oder Beteiligung weiterer Verantwortlicher passierte. Bisher haben wir nur Indizien, die dafür sprechen. Strafrechtlich können wir nur Herrn Tasselkraut etwas nachweisen, ich gehe jedoch davon aus, dass ich im weiteren Verlauf des Verfahrens Beweise dafür finden werde, dass die Werksleitung in Argentinien insgesamt und auch in Deutschland der Vorstand in irgendeiner Weise beteiligt war.

Bisher ist der Gang des Verfahrens etwas kurios gelaufen. Nachdem ich die Anzeige im September 1999 bei der Staatsanwaltschaft in Berlin eingereicht habe, wurde sie zwischen den Staatsanwaltschaften in Stuttgart und Berlin hin- und hergeschickt. Letztlich hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart sich für die bisher unbekannt gebliebenen in der Konzernzentrale verantwortlich erklärt - und dann die Ermittlungen eingestellt. Dies wiederum hat die Daimler-Chrysler Leitung zum Anlass genommen, in der Aktionärsversammlung vollmundig zu verkünden, an dem Verfahren sei nichts dran, weil die Staatsanwaltschaft Stuttgart es eingestellt habe. Dies ist aber absoluter Nonsens, weil die Einstellung keine Instanz bindet. Wenn ich morgen oder in drei Monaten Beweise oder weitere Indizien gegen dann namentlich bekannte Verwortliche habe, dann können wir dies jederzeit vortragen und die Staatsanwaltschaft Stuttgart, oder welche Staatsanwaltschaft auch immer verantwortlich sein wird, ist dann gezwungen, diesen Nachweise und Indizien nachzugehen und Ermittlungen zu betreiben.

Mittlerweile wurde mir von der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth mitgeteilt, dass das Verfahren gegen die Juntachefs sowie gegen Juan Tasselkraut dort bearbeitet wird. Ich hoffe, dass das Verfahren nach nunmehr neun Monaten Dauer dort mit dem nötigen Nachdruck betrieben werden wird und die dortige Justiz die Verwicklungen von Daimler Benz in die Repression der argentinischen Militärdiktatur aufklärt.

Langfassung des in Jungle World Nr. 28 vom 5.7.2000 erschienenen Interviews von Boris Kanzleiter/ Steffi Kron


Home
LabourNet Germany: http://www.labournet.de/
LabourNet Germany: Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch
The virtual meeting place of the left in the unions and in the workplace
Datei:
Datum: