(Berlin/npl).- "Wir haben einen Stein ins Rollen gebracht", erklärt der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, vor wenigen Tagen aus Argentinien zurückgekehrt. "Der Verdacht, daß leitende Angestellte der argentinischen Mercedes Benz Niederlassung in Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur (1976 - 1983) verstrickt waren, hat sich durch die Recherchen während unserer Reise erhärtet."
Wegen Entführung und Ermordung von mindestens 13 aktiven Gewerkschaftern des Mercedes-Benz Werkes in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires zwischen 1976 und 1977, hatte Kaleck Ende September (27.09.) bei der Berliner Staatsanwaltschaft Strafanzeige u.a. gegen den deutsch-argentinischen Mercedes-Benz Manager Juan Tasselkraut sowie gegen Emilio Massera und Jorge Videla, zwei der berüchtigsten Diktaturschergen, eingereicht. Da sowohl Tasselkraut als auch einer der Ermordeten, Esteban Reimer, deutsche Staatsbürger sind, ist die deutsche Justiz zuständig.
In den vergangenen zwei Wochen stellte Kaleck in Buenos Aires und Umgebung weitere Recherchen an. Hauptzeuge Hector Ratto, der zu den aktiven Gewerkschaftern innerhalb des Mercedes Benz Werkes zählte und als einer der wenigen seine Entführung, Inhaftierung und Folterung überlebte, bekräftigte und präzisierte seine Aussagen. Ratto wurde am 12. August 1977 auf dem Werkgelände des Automobilunternehmens in Buenos Aires vom Militär verhaftet und in das berüchtigte Folterzentrum "Campo de Mayo" verschleppt. Seinen Schilderungen zufolge war die Werksleitung, allen voran Juan Tasselkraut, an der Verhaftung maßgeblich beteiligt.
Am 15. Oktober wiederholte Ratto seine Aussage im ARD-Morgenmagazin. Er beauftragte, ebenso wie weitere Familienangehörige von verschwundenen bzw. ermordeten Mercedes- Benz Arbeitern, Rechtsanwalt Kaleck mit der Wahrnehmung seiner Interessen und ist bereit im Falle eines Prozesses als Nebenkläger aufzutreten. Juan Tasselkraut, der bisher immer noch als Manager bei Daimler-Chrysler in Argentinien tätig war, war hingegen unauffindbar, berichtet Kaleck. Laut Aussagen verschiedener Arbeiter des Werkes wurde er Anfang Oktober auf unbestimmte Zeit beurlaubt. In seinem Haus melden sich Sicherheitskräfte und behaupten, er sei kürzlich verzogen.
Argentinische Menschenrechtsorganisationen, wie SERPAJ (Dienst für Frieden und Gerechtigkeit), die schon seit längerer Zeit in ähnlichen Fällen gegen die amerikanische Automobilfirma Ford ermitteln, waren auch die Vorwürfe gegen Mercedes Benz bekannt. Die Anwälte der Organisationen zeigten laut Kaleck großes Interesse an der Anzeige gegen das Unternehmen und wollen sich an weiteren Recherchen vor Ort beteiligen.
Reaktion auf Kalecks Anzeige zeigte auch der Dachverband der kritischen AktionärInnen Daimler-Chrysler (KADC) in Stuttgart. In einer Presseerklärung vom 30. September forderte der KADC den Vorstand des Konzerns auf, die Staatsanwaltschaft bei der "lückenlosen Aufklärung der zum Himmel schreienden Vorgänge in der argentinischen Niederlassung zu unterstützen, um so Schaden vom Konzern abzuwenden". KADC-Rechtserxperte Holger Rothbauer hofft, daß "der Fall Tasselkraut ein schlimmer Einzelfall bei Daimler-Chrysler ist und nicht die Spitze des Eisbergs". Er verlangt vom Konzern "Garantien dafür, daß nicht noch weitere Leichen im Keller liegen."
Nahezu 30.000 Menschen fielen dem argentinischen Militärregime zum Opfer. Die Unterdrückung richtete sich nicht nur gegen die bewaffnete Opposition, sondern auch gegen die erstarkte Gewerkschaftsbewegung. Die Chefetagen vieler Firmen kollaborierten mit dem Regime, um unbequeme Gewerkschafter loszuwerden. Doch nicht nur im Fall von Argentinien sind deutsche Konzerne wie Mercedes Benz unter Beschuß von Menschenrechtsorganisationen und engagierten Rechtsanwälten geraten. Am 5. Oktober erschien in der Berliner Tageszeitung Neues Deutschland ein Artikel, der die Kooperation von Mercedes Benz und VW auch mit den Repressionsorganen der brasilianischen Diktatur (1964 - 1985) bei der Verfolgung von politisch aktiven Arbeitern belegt.
Die Pressestelle von Daimler-Chrysler in Stuttgart bezeichnete auf Anfrage von npl die Vorwürfe gegen den Konzern als "wirr und unhaltbar", räumte jedoch ein: "Falls ein behördlicher Vorgang aus den Vorwürfen resultieren sollte, der das rechtmäßige Verhalten des Unternehmens in Frage stellt, unterstützen wir natürlich die Behörden."
Wolfgang Kaleck wird seine neuen Erkenntnisse in den nächsten Tagen der Staatsanwaltschaft mitteilen. Derzeit prüft der Bundesgerichtshof die Anzeige und bestimmt daraufhin die zuständige Staatsanwaltschaft. Kaleck hofft auf eine baldige Entscheidung: "Wir werden den Fall zwar verschärft weiterverfolgen, da die Reaktionen auf die Anzeige politisch und juristisch ein unerwartet schneller Erfolg für uns sind, aber jetzt muß vor allem die Staatsanwaltschaft aktiv werden".
Der Artikel ist erschienen in Frankfurter Rundschau vom 27.10.1999