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Updated: 18.12.2012 15:51
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Gaby Weber:

Daimler-Benz und die Argentinien-Connection. Von Rattenlinien und Nazigeldern - Ausblick (Das Schlußkapitel)

In Argentinien sind während der letzten Diktatur auch aus anderen Fabriken Gewerkschafter verschleppt worden. Aber die Anzahl der Todesopfer bei Mercedes Benz hält einen traurigen Rekord. Die alte Nazi-Handschrift? Es tauchen dieselben Namen auf, bei der Geldwäscheaktion der fünfziger und dem Verschwindenlassen der Betriebsräte der siebziger Jahre:

Pedro de Elías, eingestellt 1952 von Jorge Antonio. Dann wechselt er die Fronten und rettet MBA für Untertürkheim. In den Kasernen der Diktatur geht er ein und aus, lobt die »erfolgreiche Eliminierung«. De Elías stirbt in den Neunzigern an Leberzirrhose.

Jorge A. Valerga Aráoz. Der Senior leitet die Scheinfirma SIADA S.A. für Antonio, als Strohmann der Deutschen. Sein Sohn verteidigt Juan Ronaldo Tasselkraut im Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Friedrich Karl Binder koordiniert während des Zweiten Weltkrieges Daimlers Flugmotorenproduktion. Er wird 1951 zu Jorge Antonio geschickt, bringt als »Experten« getarnte Nazis mit. Während der Metzentführung - 1975 - schlägt er eine harte Gangart gegenüber den Guerilleros vor. 1976 kommt er bei einem Flugzeugunglück in Brasilien ums Leben.

Hanns Martin Schleyer. Einst SS-Untersturmführer im besetzten Prag, macht Karriere bei Daimler-Benz. Im Mai 1976 schreibt er IG-Metallchef Loderer, dass MBA »stets die Bestrebungen des Gewerkschaftsvorsitzenden und den Arbeitsministers, in den Betrieben die Subversion zu bekämpfen« unterstützt habe. Schleyer wird 1977 von der RAF erschossen.

Jorge Antonio genießt seinen Lebensabend. Für seine 87 Jahre ist er rüstig, keine Gedächtnislücken. Schon gar nicht, was sein Lebenswerk angeht. Die Deutschen schätzt er immer noch. Sie haben ihn in seinem Madrider Exil nicht hängen lassen, ihn ausbezahlt. Später wird Antonio für die Verfolgung und »Enteignung« (die es nie gegeben hat) noch einmal entschädigt, diesmal von Präsident Menem, wie er Peronist. Amigo Menem zahlt ihm staatliche Obligationen, die »Tidol 2«. 70 Millionen Dollar sollen es gewesen sein, 30 Millionen, meint Antonio. Vielleicht hat er die Differenz abgeben müssen. Aber es war, da ist er sicher, »kein schlechtes Geschäft«.

Mit Politik will er nichts zu tun haben. Manchmal besuchen ihn Peronisten, in Punta del Este oder im Gestüt. Sie erwarten von ihm, dem Weggefährten Peróns, einen weisen Satz. Aber was soll er sagen? Die Zeiten sind vorbei. Damals konnten Regierungen dem Kapital Vorschriften machen, Bedingungen stellen. Heute hat der Neoliberalismus auf ganzer Linie gesiegt. Und er selbst ist Unternehmer. Will sich keine Vorschriften machen lassen.

Er sorgt sich um seinen Sohn. Risikofreudig wie er, aber diese Art von Energie ist immer nur in der ersten Generation genial. Die Fischfang-Firma des Juniors ist den Schlagzeilen, mal fliegt auf den Schiffen Kokain in Export-Mengen auf. Dann soll er in den Mord am Besitzer des Konkurrenzunternehmens verwickelt sein.

Antonio guckt auf die Uhr. Die Fragen werden lästig. Kritik möchte er, am Ende seines Leben, nicht hören. Schon gar nicht beantworten. Zahlten die Deutschen für die Geldwäsche ein Drittel des zu waschenden Kapitals? Er will sich nicht festlegen, wiegt den Kopf, halb ungläubig, halb zustimmend. Und war die Geldwäsche für Argentinien ein gutes Geschäft? Oder wurde die Zentralbank geplündert? Die Frage ärgert ihn. Es kam mehr Kapital nach Argentinien als herausging. Das stehe fest. Dass dieses Kapital cash geschmuggelt wurde? Er überhört den Einwand. »Mit uns haben die Deutschen viel Geld gemacht. Wenn Sie das Geldwäsche nennen ... Ich wollte eine Lastwagenfabrik. Und die habe ich bekommen.«

Vorwürfe macht er sich nicht. »Weshalb?«, fragt er zurück. Weil das Geld der Deutschen einen verbrecherischen Ursprung hatte? Er spricht es nicht aus, aber man sieht es ihm an, er denkt an ein argentinisches Sprichwort: »Wer einen Dieb bestiehlt, erfährt hundert Jahre Vergebung.« Und die Deutschen haben das Geld ja gestohlen, den besetzten Ländern, den Juden und den Zwangsarbeitern.

Wie zwingt man einen multinationalen Konzern, die Wahrheit offen zu legen? Selbst Behörden verschanzen sich hinter Datenschutz und Amtsgeheimnis. Der Vatikan ist sogar ein eigener Staat. Die Presse schweigt, das Thema bleibt ein Tabu. DaimlerChrysler wird es weiter aussitzen und die Akten geschlossen halten.

Um ein Tabu aufrechtzuerhalten, braucht es immer zwei. Einen der schweigt und einen, der es gar nicht wissen will. Vom Tabu profitieren beide Seiten. Dem Vertuscher garantiert es die Kontinuität seiner Macht. Und den Nicht-Wissen-Wollenden stört es nicht in seiner Faulheit. Ein Tabu ist bequem. Besser die ganze Wahrheit nicht wissen wollen, wenn die Wahrheit nicht zu ertragen ist. Ist da nicht der ständige Schuldkomplex der Mitläufer und Jasager, sich dem Unrecht nicht in den Weg gestellt zu haben, aus Feigheit oder um einen Vorteil zu erhaschen?

Haben die Deutschen - Kritiker inklusive - nicht von den Früchten des nationalsozialistischen Raubzuges profitiert, auch jene Deutschen, die sich in der Gnade der späten Geburt wiegen? Und müssen wir, die Nachkriegsgenerationen, im Grunde nicht dafür dankbar sein, dass uns der Morgenthau-Plan erspart geblieben und mit dem schmutzigen Geld das Wirtschaftswunder aufgebaut worden ist? Es ist bequemer, dieser Frage nicht nachzugehen, sondern weiter an den Mythos der »deutschen Werte« zu glauben - Arbeit, Fleiß, Genügsamkeit. Wer will uns zwingen, Fragen zu stellen und Antworten einzufordern? Es gibt keine Pflicht zur Wahrheit.

Es gibt nicht einmal ein Recht auf Wahrheit. Ein viertes Gebot, so notwendig und missachtet wie die anderen drei Kampfrufe der Französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit , Brüderlichkeit. Die Feinde der Menschheit, die ein großer deutscher Aufklärer beschrieben hat, sind dieselben geblieben: »Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen, dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein«.

ISBN 3-935936-33-8 | 144 Seiten | erschienen Oktober 2004 | 10.00 € / 18.30 sF . Weitere Informationen zum Buch finden sich auf der Website des Verlags Assoziation A / Hamburg externer LinkFür Bestellung per e-mail: E-Mail: hamburg@assoziation-a.de

 


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