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Argentinien zur Zeit der Junta

Angestellte bei Dienstantritt, verhaftet, verschleppt und ermordet

 

Donnerstag auf der Plaza de Mayo in Buenos Aires. Vor dem rosaroten Präsidentenpalast marschieren alte Frauen mit weißen Kopftüchern, die »Maiplatz-Mütter«. Ihre Kinder wurden während der Militärdiktatur (1976-83) verschleppt und ermordet. Die Touristen knipsen, die Passanten eilen achtlos vorüber. Die »Maiplatz-Mütter« gehören längst zum Stadtbild.

Auf dem Maiplatz fordern nur wenige Menschen »Strafe für die Mörder«. Doch die argentinische Gesellschaft hat das Thema nicht zu den Akten gelegt. Richter ermitteln, Generäle stehen unter Hausarrest, Bürger bespucken berüchtigte Folterer auf der Straße. 23 Jahre nach dem Militärputsch wird darüber diskutiert, wie die Verantwortlichen für die 30.000 Verschwundenen trotz der Amnestiegesetze zu bestrafen seien. Es geht nicht nur um die Militärs, um Sadisten in Uniform, die gefoltert und ermordet haben. Erstmals wird gefragt, wer von diesen Verbrechen profitiert hat. Haben sich Unternehmen an Menschenrechtsverletzungen beteiligt, um ihren Profit zu steigern?

 

Blut an deutschen Unternehmerhänden?

Der Gewerkschaftsdachverband CTA hat dem spanischen Richter Baltasar Garzón Beweismaterial über die unheilige Allianz zwischen Industrie und Repression übergeben, Zeugenaussagen und Dokumente, die beschreiben, wie die Konzerne mit den Militärs zusammenarbeiteten. Bei FORD wurden nach dem Putsch Gewerkschafter auf Betriebsgelände mißhandelt und in Firmenwagen in die Konzentrationslager gekarrt. Jetzt will die CTA den Fall des deutschen Autobauers Mercedes Benz, heute DaimlerChrysler, vortragen. In ihrem Werk in González Catán »verschwand« praktisch der gesamte Betriebsrat, mindestens dreizehn Personen. Die Hinterbliebenen vermuten, daß die Werksleitung die Aktivisten als »Terroristen« angeschwärzt und damit ihr Todesurteil besiegelt hat. Im letzten Jahr hat der Republikanische Anwaltsverein Strafanzeige gegen das Unternehmen in Untertürkheim erstattet, die Staatsanwaltschaft in Nürnberg ermittelt.

Zehn Jahre lang zahlte Mercedes den Witwen die Löhne ihrer ermordeten Ehemänner weiter. »Schweigegeld«? Für den CTA-Anwalt Juan Carlos Capurro auf jeden Fall ein großes Fragezeichen, denn die Löhne wurden nur den Witwen der Ermordeten gezahlt, nicht den Aktivisten, die ins Exil flüchten konnten. »Wie konnte die Personalabteilung von Mercedes dies unterscheiden«, fragt der Anwalt. Er hat den Fall jetzt dem argentinischen Menschenrechts-Büro unterbreitet, das dem Justizministerium untersteht. »Wir werden dort beantragen, daß das Vorgehen von Mercedes Benz untersucht und daß Wiedergutmachung für psychologische, materielle und moralische Schäden gezahlt wird« (Capurro).

Der Vorwurf, daß die Industrie in schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen verwickelt ist, wird von der argentinischen - wie von der deutschen - Presse, wenn überhaupt, mit spitzen Fingern behandelt. Wer will es sich mit Anzeigenkunden verderben, und am Rio de la Plata begegnet man den Vertretern des Kapitals noch gehorsamer als auf der nördlichen Halbkugel.

 

Die meisten der 30.000 Opfer waren GewerkschafterInnen

Nach dem Ende der Diktatur hatte die argentinische Regierung einen umfassenden Bericht über die Verletzung der Menschenrechte erarbeitet, »Nunca Mas«, Nie Wieder. Darin heißt es, daß besonders Gewerkschafter verfolgt wurden. Die meisten der 30.000 Verschwundenen waren keine Guerilleros sondern Betriebsräte, Gewerkschafter oder einfach kritische Geister.

Während ihrer Gewaltherrschaft versechsfachten die Militärs die Auslandschulden ihres Landes, während es gleichzeitig mit der argentinischen Produktion bergab ging. »Das ist der Beweis dafür, daß die Rechte der Beschäftigten nichts mit dem Zustand der Wirtschaft zu tun haben« - sagt der Arbeitsrechtler Héctor Recalde - »denn niemals besassen Arbeiter weniger Rechte als während der Diktatur.« Während der Diktatur waren Streiks und kollektive Tarifverhandlungen verboten, die Gewerkschaften und ihre Krankenkassen wurden von den Militärs zwangsverwaltet.

1985 wurde zum ersten Mal in der südamerikanischen Geschichte den Mitgliedern der Militärjunta der Prozeß gemacht, die Generäle zu hohen Haftstrafen verurteilt. Nach Militärrebellionen wurden Amnestiegesetze verabschiedet, die Verfahren gegen staatliche Mörder und ihre zivilen Helfershelfer eingestellt, die Junta-Kommandanten begnadigt. Später wurden die Hinterbliebenen der Verschwundenen für das erlittene Unrecht mit sechs-stelligen Summen entschädigt.

Der Regierung von Präsident Fernando de la Rua ist das Thema unangenehm. Sie will sich nicht mit den Militärs und noch weniger mit den Unternehmern anlegen. Auch der peronistische Gewerkschaftsdachverband CGT - während der Diktatur verboten - beschweigt das Thema Menschenrechte. Nicht wenige Funktionäre hatten mit den Militärs gemeinsame Sache gemacht.

Die meisten Verschwundenen waren Industriearbeiter, aber es wurden auch hunderte Bankangestellte gezielt ermordet, schätzt CTA-Anwalt Capurro. Die Militärs saßen in den Vorständen der öffentlichen Banken, nicht weil sie etwas von Finanzen verstanden (was sie nicht hinderte, in die öffentlichen Töpfe zu greifen) sondern um das Personal zu disziplinieren.

Bei der »Caja de Ahorro« gegenüber des Kongresses, der einst staatlichen und heute privatisierten Sparkasse, wurden die Eingangspforten belagert, Gewerkschafter bei Dienstantritt abgegriffen. Trotz der Schreie der Verhafteten sahen Management und Polizei ruhig zu, wie Soldaten in zivil Bankangestellte in Autos ohne Nummernschilder stieß und wegfuhr. Die meisten landeten in Kasernen, wurden gefoltert und ermordet.

 

»Guerilleros« oder aktive KollegInnen

Die Gewerkschaftsspitze kümmerte sich wenig um ihre verschleppten Mitglieder. Bei denen hatte es sich ja meistens um linke Aktivisten gehandelt und von denen man annahm, daß sie mit den peronistischen Guerilleros, »Montoneros« gemeinsame Sache machten. Die Montoneros hatten Funktionäre vom rechten Flügel als »Arbeiterverräter« erschossen.

Beide Dachverbände klagen darüber, daß sich immer weniger Arbeitnehmer organisieren. Das Arbeitsrecht wurde radikal flexibilisiert, nach Herzenslust kann geheuert und gefeuert werden, Schwarzarbeit wurde Normalität. Die Gewerkschaften, mit ihren Sozialwerken einst mächtige Säulen in der argentinischen Gesellschaft, wurden entmachtet. Ihre Krankenkassen verloren ihr Monopol und sind mit ihren bürokratischen Strukturen schlecht für den Wettbewerb gewappnet. Früher wurde von allen Bankgeschäften automatisch ein Prozent an die Gewerkschaft überwiesen, um Krankenkasse und Ferienwohnungen zu finanzieren. Diese Vorschrift wurde aufgehoben.

Bei den Banken ging in den vergangenen zehn Jahren dank der neuen Technologien ein Drittel aller Arbeitsplätze verloren, über 40.000, sagt Fernando Bargas, früher Betriebsrat bei der »Banco de la Provincia de Buenos Aires«. Heute werden Arbeitsverträge befristet ausgestellt, oft für drei oder sechs Monate, Überstunden nicht vergütet. Im Einzelhandel ist die Situation noch dramatischer. Die Kunden kaufen nicht mehr im Tante-Emma-Laden um die Ecke ein sondern im Supermarkt oder Shopping Center. Dort verdienen die Beschäftigten kaum mehr als umgerechnet 700 Mark brutto, sieben Tage die Woche, zwölf Stunden täglich, in einem Land, das vergleichbare Preise wie die Bundesrepublik hat.

Bargas ist aus der von der CGT kontrollierten Bankgewerkschaft ausgetreten und baut innerhalb der CTA die Bankensparte auf. Er will auch die Vergangenheit aufarbeiten, »ein dunkles Kapitel unserer Bewegung«. Die CGT lehnt dies aus gutem Grund ab, denn viele Funktionäre waren »Komplizen« sagt Bargas. So behaupten noch heute hochrangige Funktionäre, dass die während der Diktatur verschwundenen KollegInnen nicht wegen ihrer gewerkschaftlichen Aktivitäten ermordet wurden, sondern weil sie »Guerilleros« waren.

Gabi Weber

Vorabdruck der Ausgabe Dezember 2000 von AUSBLICK. der Mitgliederzeitung der hbv

 


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