aus: ak 431 vom 21.10.1999, ak - analyse & kritik, Zeitung fur linke Debatte und Praxis

Die "verschwundenen" Gewerkschafter von Mercedes Benz

Daimler-Manager als Helfershelfer der argentinischen Militärdiktatur

Im Januar 1977 zerschlugen Milit"rs und Polizei die unabhängige Gewerkschaftsorganisation im Mercedes-Benz-Werk von Gonz lez Cat n in der Nähe der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. Nacheinander verhafteten sie neun der aktivsten und bekanntesten Mitglieder. Acht davon sind nie wieder aufgetaucht. Sie gehören zu den 30.000 "Verschwundenen", die während der Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983 in den Folterkellern ermordet wurden.

Auf "Mord, Geiselnahme und gefährliche Körperverletzung" lautet nun eine Anzeige gegen Juan Tasselkraut, den ehemaligen Werksleiter der Mercedes Benz Niederlassung. Sie wurde Anfang Oktober von Wolfgang Kaleck im Namen des Republikanischen Anwaltsvereins in Berlin der Staatsanwaltschaft eingereicht. Angezeigt wurden außerdem Jorge Rafael Videla, ehemaliger Oberkommandierender des Heers, Emilio Eduardo Massera, ex-Chef der Seestreitkräfte Argentiniens, sowie namentlich unbekannte "Verantwortliche bei Mercedes Benz/heute DaimlerChrysler im Muttersitz des Konzerns in Untertürkheim/Deutschland".

Die Recherchen der in Argentinien lebenden Journalistin Gaby Weber haben diese Anzeige möglich gemacht. Nach Zeugenaussagen, die sie gesammelt hat, scheint offensichtlich, daß Juan Tasselkraut und die Mercedes-Werksleitung mit den Militärs bei der Beseitigung der unbequemen Gewerkschaftern zusammengearbeitet hat. Die deutsche Justiz ist zuständig, weil sowohl der angezeigte Tasselkraut als auch einer der Ermordeten, Esteban Reimer, deutsche Staatsbürger sind.

Hand in Hand mit dem Militär

"Es geht uns darum zu zeigen, daß es sich bei den Tätern während der Militärdiktatur nicht um durchgeknallte Sadisten handelte, sondern daß sie ein klares polit-ökonomisches Projekt verfolgten", erklärt Kaleck die Anzeige. Tatsächlich war der Terror während der Diktaturjahre nicht willkürlich, sondern zielgerichtet. Der damalige Arbeitsminister General Horacio Tomas Liendo brachte dies auf den Punkt, als er sagte, die Streitkräfte hätten alle Mittel aufgeboten, um die "Vernichtung des Feindes" in den Industriebetrieben "zu gewährleisten". Im Geheimerlaß 504/77 der Junta wird die dahinter stehende Absicht klar formuliert: "Das Heer wird in Bestimmung mit den für diesen Bereich zuständigen staatlichen Organen gezielt auf Industrieunternehmen und Staatsbetriebe einwirken, um die aus den Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern entstehenden Konfliktsituationen zu neutralisieren, die durch die Subversion provoziert worden sind oder durch sie ausgenutzt werden konnten, um auf diese Weise aufrührerische Agitationen und Aktionen der Massen zu verhindern und zum effizienten funktionierenden Produktionsapparat des Landes beizutragen." (zit. nach der Strafanzeige des Republikanischen Anwaltsvereins)

Wie Mercedes seinen Produktionsapparat flott machte, zeigt das Vorgehen von Werksleitung und Militär im Werk Gonz lez Cat beispielhaft. Dort war - wie in vielen Industriebetrieben in Argentinien - in den Jahren vor dem Putsch vom 24. März 1976 eine aktive und militante unabhängige Gewerkschaftsorganisation aufgebaut worden. Die Geschäftsleitung sah sich gezwungen, auf Forderungen der Arbeiter einzugehen. Als wenige Wochen vor der Machtübernahme durch das Militär 118 Gewerkschaftsaktivisten gekündigt wurde, trat die Belegschaft in den Streik. 24 Tage später mußte Mercedes die Kündigungen zurücknehmen, nicht zuletzt auch deshalb, weil während des Streiks der aus Deutschland entsandte Manager Heinrich Mentz von der Guerillagruppe Montoneros gekidnappt worden war. Diese verlangten für Mentz Freilassung die Wiederanstellung der Entlassenen, ein saftiges Lösegeld und eine "Entschuldigung" für die arbeitnehmerfeindliche Politik des Unternehmens.

Um genau diese Zustände zu beenden, trat das Militär an. Nach dem Putsch wurden alle Streiks als "terroristisch" bezeichnet und verboten. Es folgte eine Repressionswelle gegen die Gewerkschafter. In Gonz lez Cat begann sie in der Nacht auf den 5. Januar 1977. Wie María Luj Reimer, die Witwe des verschwundenen Esteban Reimer, berichtet, war ihr Mann mit seinem Kollegen Hugo Ventura am Vortag in die Zentrale von Mercedes in Buenos Aires zitiert worden. Dort verhandelten die Gewerkschafter über einen Forderungskatalog. Später kehrte Reimer nach Hause zurück. In der Nacht tauchte dann ein Kommando von neun bewaffneten Männern auf, die sich als Angehörige des 1. Heereskommandos ausgaben. Sie verhafteten Reimer. Auch Hugo Ventura wurde in der selben Nacht verhaftet. Ähnlich erging es weiteren Gewerkschaftsaktivisten, die in den folgenden Tagen von zuhause abgeholt oder teilweise vor und im Mercedes Werk verhaftet wurden.

Es spricht nun nicht nur das offensichtliche politische Interesse der Werksleitung an den Verhaftungen dafür, anzunehmen, daß sie mit den Militärs Hand in Hand vorging. Die von Gabriele Weber gesammelten Zeugenaussagen belasten Juan Tasselkraut auch konkret. So hat er beispielsweise nach Aussage von Juan Ratto, einem ebenfalls entführten Gewerkschafter, der als einziger später wieder freigelassen wurde, erlaubt, daß sich Polizisten in Zivil auf dem Werksgelände bewegen konnten. Ratto schildert außáerdem, daß Tasselkraut in seinem Beisein den Polizisten in Zivil die Adresse des Gewerkschafters Diego Nunez nannte. Dieser wurde in der folgenden Nacht verhaftet und in das Folterzentrum Campo de Mayo verschleppt, wo er ermordet wurde.

Hector Ratto führt seine spätere Freilassung lediglich auf die Umstände der Festnahme zurück, und auch die belasten Tasselkraut erheblich. Ratto erzählt, daß Polizisten ihn vor dem Werkstor verhaften wollten, um einen Aufruhr in der Fabrik zu vermeiden. Doch es kam zu einer Verwechslung. Statt seiner nahmen die Polizisten Juan Jos‚ Ratto fest, einen Kollegen mit dem selben Nachnamen. Bevor sie ihren Irrtum bemerkten, konnte Hector Ratto die Fabrik aber schon betreten. Dort sei ihm am Nachmittag dann vom werkseigenen Sicherheitsdienst mitgeteilt worden, daß seine Frau angerufen und ihm mitgeteilt habe, zuhause sei ein Unfall passiert. Die Personalabteilung erteilte ihm daraufhin die Erlaubnis, das Werksgelände zu verlassen, ohne daß er darum gebeten hatte. "Das war eine Falle. Die Nacht vorher war der Kollege Del Connte verschleppt worden, zu dem ich ein sehr gutes Verhältnis hatte. Jetzt war ich an der Reihe", sagte Ratto im Interview mit Gaby Weber. Ratto weigerte sich das Werk zu verlassen. Daraufhin bat ihn Juan Tasselkraut in sein Büro, wo zwei Polizisten in Zivil auf ihn warteten. Am Abend kamen dann Lastwagen des Heers und nahmen ihn mit.

Blutige Durchsetzung des Neoliberalismus

Bei einem Prozeß 1985 wurden die Aussagen von Ratto für die Verurteilung von Milit"rs herangezogen. Die Urteilsbegründung dokumentierte damals seinen Fall und den des ermordeten Diego Nunez. Rattos Aussagen wurde von den Richtern Glaubwürdigkeit bescheinigt. Es wird Tasselkraut schwer fallen, sie zu entkräften, auch wenn er im Frühjahr in einem Interview zu Rattos Anschuldigungen meinte: "Der junge Mann liegt absolut schief."

María Ester Ventura, die Schwester des verschwundenen Hugo Ventura, berichtet, daß Mercedes den Familien der acht verschwundenen Gewerkschafter etwa zehn Jahre lang das Gehalt weiterzahlte, ohne jemals einen Grund dafür zu nennen. Sie sieht darin ein Schuldeingeständnis des Unternehmens. Tasselkraut widerspricht auch dieser Interpretation und meint: "Wir als Unternehmen wollten uns wirklich als ein menschliches Beispiel darstellen."

Juan Tasselkraut ist heute Chef der Transporter Produktion von Mercedes in Buenos Aires. Er streitet die Vorwürfe kategorisch ab. Die Kritischen Aktionäre von DaimlerChrysler (KADC) fordern dagegen mittlerweile seine "sofortige Beurlaubung". In einer Presseerklärung wenden sie sich außerdem an den Vorstand des DaimlerChrysler-Konzerns und fordern ihn auf, der Staatsanwaltschaft bei der "lückenlosen Aufklärung der zum Himmel schreienden Vorgänge" zu unterstützen. Davon ist allerdings noch nichts zu bemerken. Die Pressestelle von DaimlerChrysler in Stuttgart gibt sich zugeknüpft. Dort will man von den Anschuldigungen noch nichts erfahren haben und könne sich daher auch nicht äußern. Das könnte sich ändern, wenn es zum Prozeß kommt. Doch ob dieser überhaupt eröffnet wird, hat die Staatsanwaltschaft noch nicht entschieden.

Definitiv entschieden ist allerdings, daß es heute in Argentinien keine Alternative zum Neoliberalismus mehr gibt. Bei den Wahlen am 24. Oktober stehen sich mit Fernando de la Ría und Eduardo Duhalde zwei Kandidaten gegenüber, deren Wirtschaftsprogramme sich nicht wesentlich unterscheiden. Eine einflußreiche linke Gewerkschaftsbewegung existiert nicht mehr.

Boris Kanzleiter

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