Er z ä h l e r i n : Im Jahre 1985 fand in Buenos Aires der Prozeß gegen die Mitglieder der Militärjunta statt. Zum ersten Mal mußten sich südamerikanische Militärs vor einem Zivilgericht für ihre Gewalttaten verantworten. Die Weltpresse nahm daran teil, und jeden Tag berichteten die argentinischen Zeitungen ausführlich. In einem dieser Berichte wurden die Aussagen eines Mannes namens Héctor Ratto wiedergegeben, ein ehemaliger Betriebsrat bei Mercedes Benz Argentinien, der zusammen mit früheren Arbeitskollegen als Zeuge der Anklage geladen war. Ratto schilderte vor Gericht, wie er auf dem Werksgelände von Polizisten in Zivil verhaftet werden sollte. Der damalige Werksleiter Juan Tasselkraut hatte das zunächst verhindern können. Die Zeitung zitierte auch Tasselkrauts Schilderung der Verhältnisse zur damaligen Zeit im Werk, als leitende Mitarbeiter entführt worden waren und er es mit Arbeitern zu tun hatte, von denen einige bewaffnet waren. Héctor Ratto überlebte als einziges Mitglied des linken Betriebsrats die Haft. Die Junta-Kommandanten wurden zu hohen Strafen verurteilt, später aber begnadigt. Zwei Amnestiegesetze verhindern bis heute die Strafverfolgung ihrer Untergebenen und ihrer Komplizen. Und schon gar nicht wird in der argentinischen Öffentlichkeit diskutiert, ob Wirtschaftsunternehmen an der Verletzung der Menschenrechte beteiligt waren.
Um mehr über Vorgeschichte der Verhaftung Héctor Rattos und das Verhalten von Mercedes Benz in Buenos Aires während der Militärdiktatur zu erfahren, setzte ich mich als erstes mit María Luján Reimer in Verbindung.
Die heute 55-Jährige galt 1975/ 76 als die "Jeanne dŽArc von Mercedes". Ihr Mann Esteban (sprich: estéban), der die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, war einer der linken Betriebsräte. Ihm war zusammen mit 118 Kollegen fristlos gekündigt worden. Die Belegschaft streikte 24 Tage lang, und die Ehefrauen, María Luján Reimer an der Spitze, organisierten vor dem Werkstor Volksküchen und blockierten die Landstraße, um die Streikkasse zu füllen. Die Firma nahm die Kündigungen zurück, denn die Guerillagruppe "Montoneros" hatte den aus Deutschland entsandten Werksleiter, Heinrich Metz, gekidnappt. Sie mußte für seine Freilassung ein Lösegeld in Millionen-höhe zahlen und sich in Anzeigen für ihre "arbeitnehmerfeindliche" Politik entschuldi-gen. Wenige Wochen später ergriffen die Militärs die Macht und verboten Streiks; wer die Arbeit niederlegte, galt als "Terrorist". Viele Kollegen, so María Luján Reimer, kün-digten aus Angst um ihr Leben. Ihr Mann Esteban blieb Sprecher des Betriebsrates:
Take: "Llevaban por supuesto todo un .... "
Z i t a t o r i n : Anfang 77 waren die Proteste wegen Verhandlungen mit der
Geschäftsleitung ausgesetzt worden. Die beiden Betriebsräte - mein
Mann und Hugo Ventura - waren für den 4. Januar in die Zentrale von Mercedes
Benz zitiert worden. Sie hatten einen langen Forderungskatalog dabei. Um achtzehn
Uhr kam mein Mann nach Hause und erzählte mir, daß die Gespräche
harmonisch verlaufen seien. Die Arbeitgeber hatten alle Forderungen akzeptiert.
"Hier ist etwas faul", sagte mein Mann, "es kann nicht sein, daß sie sich
nach all den Kämpfen plötzlich kampflos dem Willen der Arbeiter beugen".
E r z ä h l e r i n : Familie Reimer aß zu Abend. Danach brachte Esteban Reimer die einjährige Tochter ins Bett, während seine Frau, im fünften Monat schwanger, das Geschirr spülte.
Take: "A la una de la mañana ...."
Z i t a t o r i n : Um ein Uhr morgens klingelt es Sturm, jemand hämmert
gegen Fenster und Türen. Ich frage, was los ist und erhalte die Antwort:
"Polizei". Kaum habe ich die Tür geöffnet, da stürmen neun bewaffnete
Männer in Zivil herein. Sie seien im Auftrag des Ersten Heereskommandos
hier, und wir sollten Ruhe bewahren. Sie holen eine Liste hervor und fragen
meinen Mann, ob er Reimer heiße. Als er "ja" sagt, befehlen sie ihm, für
eine Zeugenaussage aufs Revier mitzukommen. Sie durchsuchen unsere Wohnung,
werfen Bücher und Schallplatten auf den Boden. Bevor sie gehen, streichen
sie auf ihrer Liste den Namen meines Mannes durch.
E r z ä h l e r i n : María Luján Reimer notierte das Kennzeichen des Autos, mit dem ihr Mann abtransportiert wurde. Es war - wird sich später herausstellen - auf einen Hauptmann der Armee zugelassen. Noch in der selben Nacht suchte sie in den Polizeirevieren der Umgebung nach ihrem Mann. Doch niemand wollte ihn gesehen haben.
Take: "Esa madrugada en mi desesperación ...."
Z i t a t o r i n : Am Morgen lief ich an die Bushaltestelle, wo die Kollegen
meines Mannes warteten. Ich erzählte, was passiert war. An diesem Tag sollte
eine Versammlung stattfinden, um über die Ergebnisse der Verhandlungen
vom Vortag zu informieren. Ihre erste Reaktion war, nicht ins Werk zu gehen,
denn es waren zu diesem Zeitpunkt schon etliche Kollegen verhaftet worden, von
denen man seitdem nichts mehr gehört hatte. Aber sie gingen doch an ihren
Arbeitsplatz, denn die Werksleitung versprach, sich um meinen Mann und den Betriebsrat
Ventura zu kümmern, der auch in der Nacht verschleppt worden war.
E r z ä h l e r i n : Die Schwester Venturas bestätigt diese Schilderung. Sie war nach der Verschleppung von Kollegen ihres Bruders zur Geschäftsleitung gefahren worden. Dort - so berichtet sie - traf sie die Personen, die am Vortag mit ihrem Bruder über Löhne und Schichten verhandelt hatten. Maria Ester Ventura bat sie, bei den Behörden einen Antrag auf Feststellung seines Aufenthaltsortes zu stellen, einen sogenannten Habeas Corpus Antrag. Doch statt sich für ihre verschleppten Mitarbeiter zu verwenden, befragten sie die Schwester zu Kontakten ihres Bruders. Hugo Ventura und Esteban Reimer blieben "verschwunden". Trotzdem zahlte Mercedes Benz fast zehn Jahre lang Geld. María Ester Ventura:
Take: "Nos dijeron que nos iban a dar .... "
Z i t a t o r i n : Sie sagten uns, daß sie uns finanziell helfen würden.
Die Gewerkschaft handelte diese Abmachung aus. Alle vierzehn Tage gingen wir
ins Werk und bekamen eine Art Rente ausgezahlt - keinen vollen Lohn, aber meine
Mutter brauchte das Geld zum Leben. Mercedes zahlte zehn Jahre lang an acht
Hinterbliebene (: An die Familien von Vizzini, Reimer, Gigena, Arenas, Núñez,
Belmonte, Del Connte und an uns.)
E r z ä h l e r i n : María Ester Ventura hat nie eine offizielle Begründung für diese Zahlungen erhalten. In ihren Augen aber hat die Firma damit einen Teil der Verantwortung an der Ermordung der Arbeiter übernommen.
Take: "Yo no sé si es para tapar .... "
Z i t a t o r i n : Ich behaupte nicht, daß es ein Schweigegeld war. Aber
an der Sache war doch Mercedes schuld! Wer hat denn die Namen und Adressen herausgegeben?
Als die Militärs meinen Bruder abholten, fragten sie nach "Victor Hugo".
So hieß er offiziell, aber seine Freunde nannten ihn nur "Hugo".
E r z ä h l e r i n : Nicht alle Angehörigen der "Verschwundenen" von Mercedes Benz Argentinien wollen sich heute zu den Ereignissen äußern. Es sei viel Zeit vergangen und die Schuldigen liefen frei herum, sagen sie. Und die finanzielle Großzügigkeit von Mercedes Benz wird vermutlich ein weiterer Grund für ihr Schweigen sein. Da ist zum Beispiel Juana Vizzini, die heute am Stadtrand von Buenos Aires lebt. Nach mehrfa-chem Klingeln erscheint sie am vergitterten Tor ihres bescheidenen Hauses. Ein Inter-view will sie nicht geben, sie läßt mich nicht eintreten. Aber sie erzählt, daß sie bei der Verhaftung ihres Mannes schwanger war. Ihr Sohn Fabio sei als Waisenkind auf die Welt gekommen. Mercedes habe nicht nur jahrelang den Lohn weiter gezahlt und Fabios Ausbildung finanziert. Ihr Sohn arbeite heute im Werk. Ich müsse das verstehen.
Take: Atmo Kneipe, Gerede, Tassengeklirre
Ricardo Hoffmann verrät seine Adresse nicht, das Interview findet in einer Kneipe in Buenos Aires statt.
Take: "Yo vivia directamente en la fabrica .... "
Z i t a t o r : Am 18. Mai 1977 war mein letzter Arbeitstag. Ich hatte in den
Wochen davor in der Fabrik übernachtet, um zu vermeiden, am Werkstor gefaßt
zu werden. Meine Wohnung war durchsucht worden. Nach meiner Schicht schlief
ich unter irgendeiner Maschine. Aber ich konnte meine Karte nicht mehr in die
Stechuhr stecken, und nach ein paar Tagen schickte die Firma wegen "unerlaubten
Fernbleibens vom Arbeitsplatz" die Kündigung nach Hause. Das erfuhr ich
von Kollegen, die Kontakt zu meiner Frau hatten.
E r z ä h l e r i n : Hoffmann war damals Kontaktmann der "Revolutionären Arbeiter-Partei" bei Mercedes Benz Argentinien. Er ging 1977 nach Italien ins Exil. Heute gibt er in Buenos Aires die Zeitung "El Combatiente", "Der Kämpfer", heraus, in der zur Revolution aufgerufen wird; Leser hat das Heft kaum.
Take: "Ninguno de los sequestrados .... "
Z i t a t o r : Kein einziger der Verschwundenen von Mercedes Benz war ein Guerillero.
Sie waren gewerkschaftliche Aktivisten. Vielleicht hatte einer von ihnen Kontakt
zu einer illegalen Organisation, aber Mitglied war niemand.
E r z ä h l e r i n : Den argentinischen Militärs ging es nicht nur um die Auflösung der Guerilla, sondern auch um die Niederschlagung der Arbeiterbewegung. Gegen sie richtete sich die zweite Welle der Repression. Ein halbes Jahr nach dem Putsch, so erinnert sich Hoffmann, wurde sein Kollege Martín am Arbeitsplatz verhaftet, und dreitausend Arbeiter demonstrierten anschließend zwei Tage und zwei Nächte lang vor der Tablada-Kaserne für seine Freilassung. Das rettete Martín das Leben. Wenige Tage später sollte Héctor Ratto verhaftet; um Aufruhr zu vermeiden, nicht am Arbeitsplatz sondern am Werkstor. Doch es kam zu einer Verwechslung. Die Polizisten nahmen nicht HECTOR Ratto gefangen sondern Juan José Ratto. Auf dem Werksgelände stülpten sie ihm eine Kapuze über den Kopf und fesselten ihn; bevor sie ihren Irrtum erkannten, war Héctor Ratto schon in der Fabrik. Nach 20 Jahren erinnert er sich, und in seiner Erzählung fügen sich die Ereignisse zu einem Bild, das einen schweren Vorwurf gegen die argentinische Werksleitung enthält.
Take: "Entré a las dos de la tarde.... "
Z i t a t o r : Ich erschien um vierzehn Uhr zur Personalversammlung. Danach
kam einer vom Sicherheitsdienst und teilte mir mit, daß meine Frau angerufen
habe und daß in meiner Wohnung ein Unfall passiert sei. Ich war noch nicht
lange von zu Hause weg, so daß ein Anruf meiner Frau unwahrscheinlich
war. Denn es hätte nur ein handvermitteltes Ferngespräch sein können,
auf das man normalerweise stundenlang warten mußte. Die Personalabteilung
erteilte mir, ohne daß ich darum gebeten hatte, die Erlaubnis, das Werksgelände
zu verlassen. Das war eine Falle. Die Nacht vorher war der Kollege Del Connte
verschleppt worden, zu dem ich ein sehr gutes Verhältnis hatte. Jetzt war
ich an der Reihe. Ich erklärte meinem Chef, daß man mich am Tor abfangen
wolle und ich deshalb das Werk nicht verlassen werde. Kolle-gen fuhren in meine
Wohnung, und erzählten hinterher, daß alles in Ordnung war. Dann
bat mich der Werksleiter Tasselkraut in sein Büro, wo zwei Polizisten in
Zivil auf mich warteten. Sie wollten mich mitnehmen. Er gab ihnen die Adresse
von Diego Núñez. Tasselkraut wollte Unruhe im Betrieb, wie nach
der Verhaftung von Martín, vermeiden. Erst am Abend kamen Lastwagen des
Heeres und nahmen mich mit.
E r z ä h l e r i n : Der Arbeiter Diego Núñez wurde in der folgenden Nacht in seiner Wohnung verhaftet, ins Folterzentrum Campo de Mayo gebracht und ermordet. In Campo de Mayo hörte Ratto die Stimmen seiner Kollegen. Er wurde mit Elektroschocks gefoltert, monatelang konnte er seine Arme nicht bewegen.
Take: "Creo que el treinta uno ... "
Z i t a t o r : Am 31. August wurden wir auf den Hof gerufen. Wir mußten
unsere warme Kleidung ausziehen, obwohl es kalt war. Einer nach dem anderen
wurde aufgerufen und stieg auf den Lastwagen. Ich glaubte, jetzt werden wir
entlassen, denn es lag nichts gegen uns vor. Als meine Nummer gerufen wurde,
legte mir einer die Hand auf die Schulter und sagte: "Du bleibst hier". Hinterher
erfuhr ich, daß die Gefangenen in ein Flugzeug gesetzt und über dem
Meer abgeworfen worden sind.
E r z ä h l e r i n : Die verschwundenen Betriebsräte waren nachts zu Hause abgeholt und verschleppt worden. Héctor Ratto überlebte, weil er von den Militärs - wie zuvor sein Kollege Martín - öffentlich, am Arbeitsplatz, gefaßt wurde. Er führt das darauf zurück, daß seine Adresse der Firma nicht bekannt war, denn er hatte kurz vorher geheiratet und seine neue Anschrift dem Werk noch nicht mitgeteilt. Ratto wurde anderthalb Jahre nach seiner Verschleppung auf freien Fuß gesetzt. Heute ist er 52 Jahre alt, ein zerstörtes Leben. Seine Freunde aus dem Betrieb sind ermordet worden, ihn plagen die Schuldgefühle des Überlebenden. Seinen Anspruch auf finanzielle Entschädigung für die illegale Haft hat er nicht geltend gemacht. Seine Arme kann er wieder bewegen, aber nicht mehr wie früher. Sechs Tage die Woche arbeitet er in einem kleinen Metallunternehmen, doch der Betrieb ist vom Bankrott bedroht. An seinen Arbeitsplatz bei Mercedes kehrte Ratto nicht zurück.
1985 trat er im Prozeß gegen die Miltärs als Zeuge der Anklage auf und gab dort die Umstände seiner Verhaftung zu Protokoll. In der Urteilsbegründung ist sein Fall wie der des Diego Nunez dokumentiert. Die Richter würdigten seine Aussagen als glaubwürdig und stützten unter anderem darauf die Verurteilung der Kommandanten.
Während der siebenjährigen Diktatur fuhr die Wirtschaft in Argentinien astronomische Gewinne ein, die Löhne sanken. In der Automobilindustrie aber machte nicht Mercedes sondern Ford das große Geschäft.
Zum Abschluß meiner Nachforschungen bat ich die Geschäftsleitung von Mercedes Benz in Buenos Aires schriftlich um eine Stellungnahme. Ich stellte viele Fragen, bat um alle Informationen und um ein Interview. Die Pressesprecherin teilte mir mit, daß es nach 22 Jahren kompliziert sei, Informationen zu finden. Ich hakte mehrmals per email nach, ohne Erfolg. Ein Interviewpartner wurde mir nicht genannt. Deshalb machte ich den damaligen Werksleiter Juan Tasselkraut ausfindig, der heute die Transporter-Produktion leitet und verabredete einen Interviewtermin. Der Deutsch-Argentinier empfängt mich in den Räumen der Geschäftsleitung in Buenos Aires. Die Zeiten seien in jenen Jahren bewegt gewesen, sagt er, er habe in Todesangst gelebt und sei von Leibwächtern geschützt worden.
Take: "Immerhin hatten wir so eine große Anzahl von Mitarbeitern, die ganz einfach bewaffnet durch die Fabrik gingen und eigentlich sich so Herr im Hause fühlten. Und wenn ein Meister kam oder wenn eine Führungskraft kam, dann haben sie ganz einfach das Hemd angehoben und haben gefragt, ob etwas nicht stimmen würde. Die Polizei war ohnmächtig in solchen Fällen. Gehen Sie davon aus, daß die Polizei eine passive Polizei war, absolut eine passive, die sich nur damit beschäftigte, wenn dem Unternehmen als Unternehmen, in Gegenständen etwas geschehen würde, hätte sich die Polizei eingeschaltet. Das Militär hat sich viel mehr damit beschäftigt. Selbst Mercedes Benz wurde mehrfach vom Militär besucht, bei Frühschichtanfang, mehrfach in der Früh, kamen Militärs und fragten ob die Fabrik normal arbeiten würde oder nicht. Das ging ja nicht nur Mercedes so, wir waren eigentlich die am wenigsten betroffen waren, mit 2 Entführungen. Bei anderen Unternehmen hat man ganz einfach Führungskräfte umgebracht. Ob es jetzt Ford, Chrysler war, es war lebensgefährlich in dieser Zeit."
E r z ä h l e r i n : Meine Recherchen haben bestätigt, daß Arbeiter im Werk über Waffen verfügten - sowohl Betriebsräte als auch ihre Gegner. Als Héctor Ratto verhaftet werden sollte, habe er Einspruch gegen seine Festnahme erhoben, erinnert sich Tasselkraut. Während des Interviews liegt auf Tasselkrauts Schreibtisch der Zeitungsartikel aus dem Jahr 1985, der mich auf die Spur von Mercedes Benz gebracht hat. Ratto hatte ausgesagt, daß Mitarbeiter der Firma ihn mit falschen Informationen aus dem Betrieb locken wollten. Und mehrere damalige Arbeitskollegen hatten vor Gericht seine Darstellung bestätigt. Ich will von Tasselkraut wissen, ob die Werksleitung mit den Militärs zusammen gearbeitet hat.
Take: "Ich würde das bestreiten wollen, grundsätzlich. Wie er es sieht, und welche seine Aktivitäten waren, die mir unbekannt sind, aber dann kann er das vielleicht so sehen. Aber wenn er damit zum Ausdruck bringen will, daß eben die Werksleitung gegen bewaffnete Mitarbeiter in der Fabrik war, dann muß ich dazu absolut "ja" sagen."
E r z ä h l e r i n : In meinem Interview hatte Ratto behauptet, daß Tasselkraut den Polizisten die Adresse des Arbeiters Diego Núñez überreicht habe. Tasselkraut bestreitet das empört: Dies sei "Wahnsinn", sagt er, "der junge Mann liegt absolut schief". Bewußt habe er "diese Gespräche immer zu zweit, (in Anwesenheit) des Personalchefs geführt". Ich frage, ob ihm damals bekannt gewesen sei, daß die Militärs die als "Subversive" abgeführten Arbeiter folterten und ermordeten?
Take: "Ja, wer einigermaßen sich auskannte in Argentinien, der wußte klar, daß gegen jede menschlichen Sinne, gegen jedes Menschenrecht in Argentinien Leute beseitigt wurden."
E r z ä h l e r i n : Daß Mercedes Benz Argentinien den Witwen über fast zehn Jahre eine Art Rente gezahlt hat, sei kein Schuld-Eingeständnis:
Take: "Mercedes Benz wollte in der damaligen Zeit wirklich keine Probleme mehr haben, weil wir eben auch nicht wußten, was passiert ist mit diesen Personen. Und weil wir als Unternehmen uns wirklich als Beispiel darstellen wollen, immer, in den menschlichen Angelegenheiten."
E r z ä h l e r i n : Nach meiner Kenntnis war Mercedes Benz Argentinien das einzige Unternehmen, daß diese "Renten" zahlte. Ford wurde in einem Zivilprozeß zur Zahlung einer Entschädigung wegen unrechtmäßiger Kündigung verurteilt. Das Unternehmen hatte - so steht es im Urteil - nicht nur zugesehen, wie auf dem Werksgelände Arbeiter mißhandelt und mit Firmenwagen in die Folterzentren gefahren worden sind, sondern sprach auch noch Tage später Kündigungen wegen "unerlaubten Fernbleibens vom Arbeitsplatz" aus.
Die argentinische Regierung wollte nach dem Ende der Diktatur die Verbrechen der Generäle aufklären und erstellte einen umfassenden Bericht über die Verletzung der Menschenrechte. Darin heißt es, daß in der Industrie Gewerkschafter verfolgt und ermordet wurden. Später jedoch wurden auf Druck aus den Kasernen die Verantwortlichen amnestiert, die Ermittlungen eingestellt. Die argentinische Gesellschaft beschweigt seither dieses Kapitel ihrer Geschichte.