KOLLEGEN von DAIMLER INFORMIEREN

Ausgabe 414 vom 27. Oktober 1999

Inhalt:

 

"Anwesend und gesund"

Heftige Kritik am Kollegeninfo

Hoher Krankenstand - Schuld hat die Kollegengruppe, meinen Werkleiter und Centerleiter

Unser Artikel im letzten Kollegeninfo "Stufung wird ausgesetzt!  Hurra - ?? oder Mogelpackung?" zur Aussetzung der Stufungen der Rückkehrgespräche und zu "Neuerungen" am System AVG wurde vom Werkleiter heftigst kritisiert.

Das die Existenz der Kollegengruppe und des Kollegeninfos Werk- und Centerleiter nicht erfreut ist nicht überraschend und das dieser Artikel Werk- und Centerleitern nicht gefallen würde, hatten wir nicht anders erwartet. Waren wir doch in der Vergangenheit schon damit konfrontiert, daß der eine oder andere Centerleiter meinte, der Krankenstand im Werk Bremen sei politisch gesteuert (siehe Kollegeninfo 407 und 402)!

Keinen Gefallen fand damals und konnte folgendes Zitat auch im letzten Info nicht finden:

"....Und so kommt dann alles zusammen: Arbeit mit zuwenig Personal, Streß, Kollegen die aus Angst vor Rückkehrgespräch und Stufung Krankheiten verschleppen und dann "richtig einen gefegt bekommen", Kollegen, die sich aus der gleichen Angst heraus krank zu Arbeit schleppen und andere Kollegen anstecken.

Kehrt dann ein Kollege aus der Krankheit zurück, darf er im Rückkehrgespräch die Frage beantworten, was er wohl glaubt, wie die Gruppe sein Fehlen findet.

Nun haben wir oft genug gehört, daß dies keine Krankenjagd sein soll, aber was ist daran Gesundheitsfördernd?...." (aus Kollegeninfo 407 und 413)

Bereits damals hatten wir als Kollegengruppe das Problem, daß wir bei unseren Bemühungen im Kollegeninfo Ursachen für den zu hohen Krankenstand aufzuzeigen warnen mußten:

"....Aber, lieber Centerleiter, nicht gleich unterstellen oder auch nur auf das Geschwätz derjenigen achten, die behaupten, die Belegschaft würde von bestimmten Betriebsräten "ausgerichtet" oder/und "für Rückkehrgespräche trainiert".

Solche blööööödsinnigen Behauptungen können doch nur die Ewiggestrigen aufstellen, die es einfach nicht verstehen können sondern anscheinend für Hexerei halten, daß man mit Beobachtung und gesundem Menschenverstand auch bestimmte Entwicklungen vorhersehen kann....." (aus Kollegeninfo 402)

Und jetzt haben wir dieses Problem schon wieder oder immer noch: Während das Betriebsratsgremium in Gänze von Werk- und Centerleitern kritisiert wird, weil angeblich nicht deutlich genug was zum Krankenstand gesagt wird, wird der Kollegengruppe und deren Betriebsräten mehr oder weniger deutlich unterstellt, sie würden den Krankenstand in die Höhe treiben.

Als würde die Benennung von krankmachenden Ursachen und die Kritik daran, erst dazu führen, daß jemand merkt das er krank ist.

Uns als Kollegengruppe ist der Krankenstand zu hoch und sehr bedenklich und dieses nicht in erster Linie aus wirtschaftlichen Erwägungen sondern aus dem Wissen heraus, daß

  1. krank sein ein unschöner Zustand ist, der

  2. die Lebensqualität beeinträchtigt und wenn er

  3. nicht behoben wird, die Existenz bedroht, denn es ist immer noch so, daß wir

  4. nichts haben als unsere Arbeitskraft zu "verkaufen", um existieren zu können.

Aus diesen Erwägungen heraus haben wir in der Vergangenheit krankmachende Ursachen kritisiert, haben wir im letzten Kollegeninfo die "Neuerungen" im System AVG kritisiert. Und davon haben wir nichts zurück zunehmen oder zu relativieren.

Es wird endlich Zeit, daß krankmachende Ursachen ergründet und abgestellt werden - da sind wir voll dabei!

Es wird endlich Zeit, daß Schluß ist mit der Unterstellung der größte Teil der Kollegen, der eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt sei gar nicht krank - nichts anders wird dort unterstellt, wo Vorgesetzte angewiesen werden unsere kranken Kollegen unangemeldet zu besuchen.

Zu diesem Unding hat der Betriebsrat in Gänze ja wohl deutlich genug Stellung genommen (siehe "Offener Brief" in der Profil-Extra vom 20.10.)

Hoffentlich wird von Werk- und Centerleitern jetzt dran gegangen die krankmachenden Ursachen zu ergründen und zu beseitigen. Und der Versuch aufgegeben den Betriebsrat zuspalten und Kranken und Betriebsräten die Schuld am hohen Krankenstand in die Schuhe zu schieben.

Helfen wir uns und dem Werkleiter!

Wir können nicht mehr zählen, wie oft Betriebsräte auf krankmachende Ursachen hinwiesen und auf Abhilfe drängten. Wir können nicht mehr zählen, wie oft dies auf Betriebsversammlungen angesprochen wurde und wie oft drüber geschrieben wurde. Manches Mal verspürt man keine Lust mehr es zu erzählen, weil bestimmte Mißstände einfach nicht abgestellt werden. Trotzdem  vielleicht hilft das ja: Das Kollegeninfo war und ist offen für Leserbriefe und besonders zur Frage "Was hat Euch krank gemacht?" Wir drucken die Leserbriefe so ab wie von Euch gewünscht, notfalls auch anonym. Der Leserbriefschreiber muß uns bekannt sein, aber wir garantieren wenn gewünscht die Anonymität.

 

Krank in die ArbeitWenn Vorgesetzte an der Haustür stehen...!

Obwohl Werkleiter Karr veranlaßt hat, daß unangemeldete Hausbesuche von erkrankten Kolleginnen und Kollegen nicht mehr stattfinden sollen, hier einige kleine Tips wie man am besten reagieren kann, wenn es ungebetenen Besuch vom Arbeitgeber gibt. Da in dieser Fabrik zur Zeit "die eine Hand nicht weiß, was die Andere tut", und wir nicht ausschliessen können, daß der eine oder andere Vorgesetzte weiter "mal wieder übers Ziel hinaus schießt", sind diese Tips sicherlich recht nützlich:

  1. Bei Vorgesetzten die sich z.B. telefonisch vorher ankündigen, sollte man bereits am Telefon freundlich aber bestimmt auftreten. Hier genügt der Hinweis: "Ich lege keinen Wert auf Ihren Besuch. Mein behandelnder Arzt hat mich auf Grund einer Erkrankung arbeitsunfähig geschrieben. Wann ich wieder am Arbeitsplatz erscheine, entscheide ich mit meinem Arzt gemeinsam. Bitte haben sie Verständnis dafür, dass ich dieses Telefonat jetzt beende. Auf Wiederhören!"

  2. Vorgesetzte die unangemeldet, unvermittelt vor der Haustür stehen, womöglich mit einem Blumenstrauß in der Hand und in Begleitung eines weiteren Vorgesetzten, sollte man nicht in die Wohnung lassen! Wer eine Türsprechanlage besitzt kann diese "Besuche" bequem fernmündlich ähnlich wie am Telefon als unerwünscht erklären mit dem Hinweis, dass der Werkleiter solche Hausbesuche verboten hat. Weiter ist es wichtig die Aufforderung auszusprechen, dass Haus bzw. Grundstück sofort zu verlassen. Auch hier ist Freundlichkeit aber vor allem Eure Bestimmtheit besonders gefordert.

  3. Vorgesetzte die bereits "mit einem Fuß" in der Wohnung sind, weil z.B. die Kinder die Haustür öffneten, ebenfalls nicht in die Wohnung lassen. Sind diese Vorgesetzten bereits in der Wohnung, sollte man ein Gespräch im Flurbereich führen, die anderen Türen der Wohnung sollten dabei geschlossen sein bzw. bleiben. Diese Vorgesetzten sind deutlich und unmißverständlich darauf aufmerksam zu machen, daß sie als ungebeten gelten und sich wieder zu entfernen haben. Kommt es zu irgendwelchen Streitgesprächen sollte man seinen Ehepartner, Freund, Freundin oder Nachbarn als Zeugen hinzu ziehen.

  4. Der Dialog im Steitgespräch: "Bitte verlassen sie meine Wohnung, Haus, Grundstück. Sie haben sich nicht angemeldet. Ihr Vorgesetzter der Werkleiter, hat unangemeldete Hausbesuche von Erkrankten verboten. Als Mieter, Eigentümer, Hausbesitzer weise ich sie darauf hin, notfalls von meinem Hausrecht Gebrauch zu machen. Dies bedeutet, ich erstatte Anzeige wegen Hausfriedensbruch in diesem Fall, wenn sie nicht sofort meiner Aufforderung Folge leisten, meine Wohnung, Haus oder Grundstück zu verlassen. Weiter werde ich nach § 84 Betriebsverfassungsgesetz von meinem Beschwerderecht beim Betriebsrat Gebrauch machen. Alles was sie jetzt sagen, kann daher gegen sie verwendet werden. Bitte entfernen sie sich sofort!"

Veruntreung von FirmeneigentumIn der Hoffnung das der letzt geschilderte Dialog keine Anwendung finden muß, ist es in allen Fällen ratsam sofort seinen Bereichsbetriebsrat zu informieren. Weiter halten wir es für wichtig Euch mit zu teilen, daß Freundlichkeit auch in unangenehmen Situationen, die beste Waffe gegen ungebetene "Gäste" darstellt. Freundlich zu sein bedeutet keinesfalls Schwäche, sondern wer Freundlichkeit mit einer klaren unmißverständlichen Aufforderung oder einem Verbot verbindet, setzt sich juristisch gegenüber Widersachern in Vorteil!

Natürlich gelten diese Hinweise und Tips tatsächlich nur für Hausbesuche die als ungebeten eingestuft werden. Wo also offensichtlich ist, daß ein Besuch nur der Spioniererei oder der "Jagd auf Kranke" dient!

Alle anderen Besuche, z.B. nach einem Arbeitsunfall mit langen Ausfallzeiten, langen schweren Krankheiten wo es angebracht ist Fürsorgebesuche zu machen und wo es Euch angenehm ist von Kolleginnen und Kollegen oder auch Vorgesetzten besucht zu werden, die solltet Ihr nach Eurem eigenen Empfinden weiter so abwickeln wie bisher.

 

 

Pro Montage:

Immer noch keine Vereinbarung

Seit dem 30.06.99 ist die Protokollnotiz zur Mitarbeitereinbeziehung in das Projekt ProMontage abgelaufen. Angefangene Workshops werden noch zu ende geführt.

Damit stellt sich erneut die Frage: Ist die Einbeziehung von Mitarbeitern erwünscht? Falls Ja, besteht hierzu Regelungsbedarf. Zu klären ist z.B. welche Rechte die KollegInnen in solchen Projekten haben, wie die Abstimmung mit der Gruppe erfolgen kann, wie wirkt sich ProMontage auf die bestehende Gruppenarbeit aus.

In kürze laufen die nächsten Workshops an Band 17 an, ohne das diese Fragen geklärt sind. Jeder der sich daran beteiligt, läuft Gefahr für einseitige Rationalisierungsziele missbraucht zu werden.

 

 

Halle 9:

Befehl und Gehorsam

Immer mehr kommt man sich in Halle 9 vor, wie auf einem Kasernenhof. "Oben" befiehlt "unten" hat zu gehorchen. Jeder darf seine Meinung äussern - die des Chefs. Preußische Ordnung und Disziplin werden rigoros nach "unten" durchgedrückt, wer aufmuckt wird gemaßregelt. Sogenannte Standards werden einseitig bestimmt, Mitarbeiter dienen nur noch als Statisten zur Umsetzung.

Diese neue Form von Befehl und Gehorsam treibt bisweilen seltsame Blüten:

Dies sind nur einige Beispiele für das zur Zeit vorherrschende Betriebsklima in Halle9.

 

 

Leserbrief:

Arbeit ohne Ende?

Am 12.10., wurde in den Dialogen im Presswerk, bekannt gegeben, das zwischen Weihnachten und Neujahr gearbeitet werden soll. Wir sollen 203er Werkzeuge einarbeiten. Allerdings sind davon nicht alle Kollegen im Presswerk betroffen. Angaben wie viele Leute gebraucht werden und wann, wurden nicht gemacht.

Wir sollen mit der Werkzeugeinarbeitung 3 Monate zurück sein. Mercedes verlagert die Einarbeitung zunehmend auf die Hersteller der Presswerkzeuge. Die Werkzeuge sollen so produktionsreif wie möglich nach Bremen kommen. Das heißt weniger Einarbeitungszeit in Halle 6. Weniger Standzeiten heißt mehr Profite. Hauptsache die Rendite stimmt. Die Folgen werden auf uns abgewälzt. Diskret wird dann noch verbreitet, das doch die Werkzeughersteller schuld sind, weil die ja nicht die Termine einhalten.

Für diese freien Tage haben wir aber vorgeholt. Viele Kollegen freuen sich auf die freie Zeit mit ihren Familien. Das soll nun für etliche nicht mehr gelten. Wenn es nach der Abteilung geht sollen wir uns in den Gruppen auch noch Gedanken machen wer denn Arbeiten kommt. Nach Unternehmerlogik ist unsere Freizeit nutzlose Zeit. Nutzlos deshalb, weil wenn wir nicht arbeiten, keine Profite gemacht werden. Deshalb die schrankenlose Ausdehnung der Arbeitszeit in den letzten Jahren (3 Schicht). Wenn die Herren zwischen Weihnachten und Neujahr arbeiten lassen wollen, dann sollen sie doch selber kommen. Ich hoffe der Vorschlag bekommt die Antwort, die er verdient.

Ein Kollege aus Halle 6

 

 

Für Euch gelesen:

Arbeiter zum Schweigen gebracht

Während der Militärdiktatur in Argentinien soll Mercedes-Benz veranlasst haben, Gewerkschafter aus dem Weg zu räumen

Berlin (taz) - Während der Militärdiktatur in Argentinien von 1976 bis 1983 sind nach Schätzungen von Menschenrechtsgruppen bis zu 30.000 Oppositionelle "verschwunden" und ermordet worden. Die Täter waren Militärs, Geheimdienstmitarbeiter und Polizisten. Mit einer Strafanzeige sollen nun die Auftraggeber einiger dieser Morde ermittelt werden.

Brisant ist dabei, dass ein deutsches renommiertes Unternehmen in einige Fälle verwickelt ist: Der Beschuldigte heißt Juan Tasselkraut und war Geschäftsführer der Mercedes-Benz-Niederlassung in González Catán, einem Vorort der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. Er soll 1977 die Verhaftung von mehreren Gewerkschaftsaktivisten der Benz-Niederlassung angeordnet haben. Auch heute arbeitet Tasselkraut noch in leitender Position für das Unternehmen.

Die Strafanzeige gegen Tasselkraut wird heute von Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck bei der Berliner Staatsanwaltschaft eingereicht. Ebenfalls strafrechtlich vorgehen will Kaleck gegen die Generäle Emilio Masera und Jorge Videla, zwei Köpfe der Junta, die bereits wegen zahlreicher Menschenrechtsverletzungen unter Anklage stehen. Kaleck ist Vorsitzender des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins. Im Juni hatte er eine Anzeige gegen Junta-Generäle eingereicht, die für das Verschwinden von vier deutschstämmigen Juden während der Diktatur verantwortlich sein sollen.

Kaleck bezieht sich bei der Anzeige gegen den Mercedes-Manager vor allem auf die Recherchen der Journalistin Gabriele Weber, die zahlreiche Zeugen befragt hat. In einem Radiobeitrag für den Westdeutschen Rundfunk stellte sie Ende August dar, wie während der Diktatur oppositionelle Gewerkschafter, die im Mercedes-Benz-Werk in González Catán aktiv waren, verhaftet wurden und seitdem zum größten Teil als "verschwunden" gelten.

Webers Recherchen legen nahe, dass die Geschäftsleitung des Mercedes-Werks unter Juan Tasselkraut die Verhaftungen durch das Militär und die Polizei angeordnet hat. So wurden die beiden Sprecher einer Arbeiterorganisation, Esteban Reimer und Hugo Ventura, in der Nacht vom 4. auf den 5. Januar 1977 vom Militär festgenommen, nachdem sie sich mit der Geschäftsleitung getroffen hatten, um über gewerkschaftliche Forderungen zu verhandeln. Als die Schwester eines der Verhafteten einen Tag später die Geschäftsleitung aufforderte, ihr den Aufenthaltsort ihres Bruders mitzuteilen, erhielt sie keine Auskunft. Stattdessen wurde sie über die politischen Kontakte ihres Bruders befragt. Der Lohn der beiden Verschwundenen wurde von Mercedes beinahe zehn Jahre weiter bezahlt, obwohl sie nie wieder auftauchten. Die Angehörigen betrachten das als Schuldeingeständnis des Unternehmens.

Das Vorgehen der Geschäftsleitung von Mercedes-Benz wäre kein Einzelfall. Eine argentinische Menschenrechtsorganisation beschreibt beispielsweise den Fall des Automobilherstellers Ford. Dort waren Gewerkschafter auf dem Fabrikgelände misshandelt und mit Firmenfahrzeugen in die Folterzentren des Militärs gefahren worden.

Boris Kanzleiter

taz Nr. 5950 vom 28.9.1999

 

 

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