Die Canadian Auto Workers (CAW) und die drei großen Autoproduzenten Ford, General Motors (GM) und Daimler-Chrysler feierten sich selbst und spendeten sich wechselseitig Beifall. Anlass waren die Ende letzten Jahres ohne Streik abgeschlossenen Tarifvereinbarungen für die nächsten drei Jahre. Während es aus Gewerkschaftssicht zunächst plausibel erscheint, sich über die erreichten 3 Prozent Lohnerhöhung und eine sukzessive, teilweise sogar rückwirkend geltende Steigerung der Pensionen um 25 Prozent zu freuen, muss man sich doch fragen, warum ein solches Ergebnis die Arbeitgeberseite zu Begeisterungsstürmen hinreißt.
Deren gute Stimmung verdankt sich neben den sich prächtig entwickelnden Verkaufszahlen, beträchtlichen Produktivitätszuwächsen und rekordverdächtigen Profiten erstens ganz wesentlich der Tatsache, dass ein Streik vermieden werden konnte: Vor allem GM wurde 1998 von Streiks schwer gebeutelt, und Daimler-Chrysler kann Streiks in der sensiblen Fusionsphase ebenfalls überhaupt nicht gebrauchen.
Zweitens resultiert die Begeisterung aus dem Umstand, dass die neuen Tarifverträge die Unternehmen im Hinblick auf Restrukturierung und Downsizing praktisch nicht einschränken. Was das bedeutet, lässt sich an GM in Kanada verdeutlichen, wo 1980 noch 40.000 Menschen beschäftigt waren. Obwohl 1996 verbindlich ausgehandelt worden war, dass es keine Entlassungen durch Outsourcing geben dürfe, sank die Beschäftigtenzahl kontinuierlich. Während der letzten Verhandlungen betrug sie noch 22.500, und direkt nach Abschluss gab GMs Chefunterhändler bekannt, dass es bis zum Ende der Laufzeit nach drei Jahren weitere 3.000 Entlassungen geben werde das sind 15 Prozent der gesamten Belegschaft!
Vor diesem Hintergrund lassen sich die Erfolge der CAW realistischer einschätzen: Sie bedeuten keine wirklichen Zumutungen an die Großen Drei. Alles in allem ähneln die Abschlüsse und ihre Folgen weitgehend denen, die die UAW in den USA mit denselben Unternehmen getätigt hat. Allein schon die Einschätzung, eine Lohnsteigerung um 3 Prozent sei üppig, sagt vor dem Hintergrund der aktuellen Profitraten und Produktivitätszuwächse eher etwas aus über die Ohnmacht nordamerikanischer Gewerkschaften angesichts der allgemeinen Durchsetzung von Lean Production und kapitalistischer Globalisierung.
Der Linken scheint überhaupt noch nicht aufgefallen zu sein, dass die relativ mageren Lohnerhöhungen eng mit betrieblichen Umstrukturierungen verknüpft sind, welche eine Politik der Kostensenkung mittels Belegschaftsreduktion verfolgen. Für die Unternehmen sind also die zusätzlichen Ausgaben für Löhne bei weitem nicht so hoch wie die Summen, die durch Entlassungen eingespart werden. Dies gilt ebenso für die gestiegenen Pensionszahlungen, die mehr als ausgeglichen werden können, indem die frei werdenden Stellen nicht neu besetzt werden, sondern die bisher auf ihnen geleistete Arbeit innerhalb der Belegschaft umverteilt wird.
Wenn man die lokalen Tarifverträge betrachtet, die nicht so viel Publicity bekommen, nehmen sich die angeblichen Erfolge der Gewerkschaften noch jämmerlicher bzw. eher wie Siege der Unternehmen aus.
Da die Investitionsentscheidungen allein beim Unternehmen liegen und die Überproduktionskapazitäten in der Autoindustrie beträchtlich sind, hat der Kampf um Arbeitsplätze bspw. die GM-Verhandlungen in St. Catherines auf den Kopf gestellt: Normalerweise würde die Gewerkschaft mit einer Liste von Forderungen in die Verhandlungen gehen und ihr mit der Androhung eines Streiks Nachdruck verleihen; nicht so hier: Die Bosse legten eine Liste von Forderungen vor, die sie der Gewerkschaft mit der Verheißung neuer Arbeitsplätze schmackhaft machten. Nicht das Unternehmen machte Zugeständnisse, um einen Streik zu vermeiden, sondern die Gewerkschaft machte Zugeständnisse, um neue Jobs zu bekommen. Schließlich waren es nicht so viele Konzessionen, wie GM sich erhofft hatte. Doch im Produktionsbereich waren es immerhin genug, um den Prozess der Zusammenfassung aller Jobklassifikationen in eine einzige voranzutreiben, was für die Implementation der Schlanken Produktion von erheblicher Bedeutung ist. Und bei den FacharbeiterInnen waren es noch ein paar mehr Konzessionen. Hier ist vor allem zu erwähnen, dass es der CAW nicht gelungen ist, das Out-Contracting, also die Anstellung von Leuten, die bei Subunternehmern beschäftigt sind, in der Fabrik zu verhindern. Bei den Verhandlungen über 2.000 diesbezügliche Beschwerden von Beschäftigten einigte man sich lediglich auf die einmalige Zahlung eines Pauschalbetrags, dem höchstens ein symbolischer Wert zukommt. In der Summe werden die Konzessionen der CAW im Bereich der Facharbeit GM das punktuelle und das permanente Downsizing erleichtern.
Ein anderes, krasses Beispiel ist die GM-Fabrik in Oshawa. Hier hat der nicht vorhandene Widerstand der CAW gegen die Schlanke Produktion zu miserablen Arbeitsbedingungen geführt. Ein Facharbeiter des CAW Locals 222 drückt das so aus: "Der nationalen CAW-Führung sind lokale Themen scheißegal, solange sie nur Lohnerhöhungen, Pensionen und Gratifikationen rausholt. Alles andere fällt hinten runter.
Die Arbeiter in Oshawa haben genug davon, sich vom Management schlecht behandeln zu lassen: immer mehr zusätzliche Arbeit, eine ständige Beschleunigung der Fließbänder; die Folge sind gesundheitliche Schäden durch Dauerbelastung (Repetitive Strain Injuries). Die Funktionäre haben völlig den Bezug zur Realität am Arbeitsplatz verloren." Es vermag also nicht zu verwundern, dass 30 Prozent der Mitglieder gegen die letzte von der Führung ausgehandelte Tarifvereinbarung gestimmt haben. Und auch von den Ja-Stimmen gehen viele lediglich auf das Konto von Ängsten und Resignation. Es ist gar nicht mehr so leicht auszumachen, ob die Führung der CAW noch die Interessen der Mitglieder oder bereits diejenigen der Firmen vertritt.
Diese Frage drängte sich neulich auch in dem Werk bei St. Catherines auf, als beide Seiten Hand in Hand dafür sorgten, dass innerhalb einer Woche 7.000 Stück vom neuesten GM-Motor aus der Serie VIII gebaut wurden. Die Arbeitnehmerseite wollte damit die oberen GM-Manager beeindrucken, um sie zu weiteren Investitionen in das Werk zu bewegen. Diese Strategie ging sogar so weit, dass Arbeit für St. Catherines akquiriert wurde, die eigentlich für US-Fabriken vorgesehen gewesen war und daher dort abgezogen wurde. Die CAW-Führung war sich auch hier nicht zu schade, den Mitgliedern diesen Fischzug als Sieg zu verkaufen.
Zusammenfassend läßt sich zu den Ergebnissen der diesjährigen Tarifverhandlungen festhalten: Die Sektlaune bei der CAW vermag nur schwer die Tatsache zu verschleiern, dass sie sich zunehmend die Forderungen und Interessen der Unternehmen zu eigen macht. Der Grund dafür ist in ihrer Hilflosigkeit gegenüber unternehmerischen Investitionsentscheidungen und Umstrukturierungsstrategien zu suchen und, schlimmer noch, in ihrer Weigerung, über eine entschiedene Kampfansage an die Kontrolle der Produktionsmittel durch das Kapital auch nur nachzudenken.
Bruce Allen ist Mitglied des "Left Caucus" der CAW und betreut Beschäftigte von Delphi, dem größten Zulieferer der Welt. Der Beitrag wurde für den express gekürzt; die volle englisch-sprachige Fassung ist unter <www.labournet.de> einzusehen
erschienen in: "express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit" Heft 2/2000
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