Der in den Medien schlagzeilenträchtig dargestellte Konzentrationsprozeß in der Automobilindustrie ist der nach außen sichtbar werdende Teil umfassender Umstrukturierungen dieser Branche, die bereits in der letzten Dekade wirksam wurden und sich in den letzten Jahren beschleunigen. Triebfeder dieser Prozesse ist ein aus der Internationalisierung der Märkte und der Produktion resultierender, in dieser Dimension und Härte bisher nicht gekannter, Kampf um Weltmarktanteile. An dessen Ende werden nicht viel mehr als eine Handvoll Automobilunternehmen als eigenständige Hersteller übrig bleiben.
Die infolge der Internationalisierung von Markt und Konkurrenz bei den Unternehmen hervorgerufenen neuen Marktstrategien ("Kundenorientierung", Produktvielfalt und technische Komplexität, Preiswettbewerb) stellen neue und höhere Anforderungen an die Produktionsflexibilität, Logistik sowie Innovationsgeschwindigkeit und verstärken gleichzeitig den Kostendruck und damit den Produktivitätswettbewerb zwischen den Unternehmen. Gemessen an ihrer Komplexität und Schärfe ergeben sich dadurch neue Anforderungen an das Produktionsregime. Diese spitzen den Widerspruch zwischen hoher Produktqualität, kurzen Innovationszeiten, Produktionsflexibilisierung und gleichzeitiger Ökonomisierung der Massenproduktion zu.
Zur Auflösung dieses Dilemmas entwickeln die Unternehmen verschiedene Strategien a) für das Produktprogramm sowie b) für die inner- und zwischenbetriebliche Produktions-, Arbeits- und Unternehmensorganisation. Ihr Ziel ist, ihren Weltmarktanteil zu erhöhen und mittels höherer Skalenerträge und sinkender Kosten die Profitrate überdurchschnittlich zu steigern.
Zu a) Die Modellpolitik aller leistungsstarken Hersteller weist in die gleiche Richtung: Zum einen wird die Modellpalette durch den umfassenden Ausbau höherer/niedrigerer Preissegmente und den Einstieg in die Produktion sogenannter Nischenfahrzeuge erweitert. Zum anderen werden innerhalb der jeweiligen Modellklasse eine Vielzahl unterschiedlicher Varianten angeboten, die sich insgesamt durch eine größere technische Komplexität auszeichnen. Außerdem wird der Wechsel von der bestehenden zur nächsten Modellgeneration permanent verkürzt.
Bei stagnierenden bzw. nur noch geringfügig wachsenden Märkten gehen solche Expansionsstrategien zu Lasten der Marktanteile anderer Hersteller und verschärfen den Preiswettbewerb und den Innovationsdruck.
Zu b) Der daraus resultierende Kosten- und Flexibilisierungsdruck kann nur zum Teil ausgeglichen werden durch die - gerade auch bei VW erfolgreich praktizierte - Plattformstrategie und Baukastensysteme, mit denen die Zahl der zu verbauenden Gleichteile in den unterschiedlichen Modellen und Varianten erhöht wird. Auch sind die unter dem Begriff "systemische Rationalisierung" vielfach beschriebenen übergreifenden Rationalisierungsstrategien in den einzelnen Montagebetrieben der Endhersteller trotz großer Wirkungspotentiale nicht ausreichend, um die widersprüchlichen Marktanforderungen - Flexibilisierung, Beschleunigung, Ökonomisierung - optimal bewältigen zu können.
Um dieses Ziel zu erreichen, wurde vor dem Hintergrund, daß in der Automobilindustrie ca. zwei Drittel der Gesamtherstellkosten der Endhersteller auf Zulieferteile entfallen, die Verwertungsperspektive über die Betriebe der Endhersteller hinaus auf die gesamte Wertschöpfungskette erweitert und zugleich in ihrer Orientierung verändert: Nicht mehr nur einzelbetriebliche Erfordernisse, sondern die betriebsübergreifenden Gesamtzusammenhänge der Wertschöpfungskette, insbesondere deren Schnittstellen, werden zum Ausgangspunkt für alle Rationalisierungsentscheidungen.
Zur Ausschöpfung dieser in den Zulieferbeziehungen liegenden Rationalisierungspotentiale forcieren die Endhersteller die Einbeziehung der Zulieferbetriebe in ihre Programm- und Produktionsstrategie. Dabei nutzen sie gezielt die weltweiten, heterogenen Produktionsformen mit ihren unterschiedlichen Kosten- und Flexibilisierungspotentialen für ihre Reorganisationsprozesse.
Im Vordergrund stehen hierbei erstens direkte Kostensenkungen bei den Zukaufteilen, indem durch "global sourcing"-Strategien der Wettbewerbs- und Preisdruck auf die Zulieferer erhöht wird.
Zweitens geht es den Endherstellern um die Reduzierung von Komplexität durch die Möglichkeit des sogenannten 'Modular-Sourcings', also die Abgabe variantenreicher Fertigungsprozesse an Vorlieferanten und, im Gegenzug, um den Bezug komplett montierter und gleichförmiger, aber in sich variantenreicher Module. Diese können über standardisierte Einbauschnittstellen an Modul und Fahrzeug problemlos in einen variantenunabhängigen, standardisierten Montageprozeß "just-in-time" einbezogen werden. Damit kann in der Montage an den Vorteilen des Fließprinzips festgehalten werden, ohne daß auf Varianten- und Ausstattungsvielfalt verzichtet werden muß.
Drittens werden eigene Lagerbestände durch produktionssynchrone Zulieferung abgebaut und Produktentwicklungs-, Qualitätssicherungs- und Logistikaufgaben und damit verbundener Kosten und Risiken auf die Zulieferer abgewälzt. Mit diesen Maßnahmen und der dazu gehörenden datentechnischen Anbindung haben die Abnehmerbetriebe gleichzeitig Medien erhalten, die ihnen letztlich eine tiefgreifende Steuerung und Kontrolle des Zulieferers erlauben, die weit über die vertraglich festgelegten Möglichkeiten hinausgehen.
Durch diese Entwicklungen haben sich Produktionsnetzwerke gebildet, die eine pyramidale Form aufweisen mit sowohl marktlichen als auch hierarchischen Strukturen. Je nach Position innerhalb der Zulieferpyramide vergrößern sich Abhängigkeiten und verringern sich Handlungsspielräume für die einzelnen Betriebe.
Durch die Übertragung der gestellten Flexibilitätsanforderungen und damit verbundener Risiken bei gleichzeitig sinkenden Preisen für die Kaufteile wird ein Profittransfer zu Lasten der Zulieferbetriebe in Gang gesetzt, der dem Endhersteller bei sinkenden eigenen Produktionskosten eine flexiblere Preisgestaltung und höhere Stückgewinne ermöglicht. Außerdem sinken die Investitionen pro Einheit und damit auch der break-even-point. Eine schnellere Amortisation des eingesetzten Kapitals erlaubt eine schnellere Marktanpassung. Insgesamt verbessert sich ihre Wettbewerbssituation.
Diese Tendenz setzt sich auch innerhalb der Zulieferpyramide fort. Große Zulieferunternehmen bzw. solche mit Spezialwissen sind zum einen wegen ihrer ökonomischen Potenzen und/oder wegen ihrer auf Kenntnisse spezieller Produkt- und Fertigungstechnologien begründeten Marktmacht in der Lage, sich dem Abhängigkeitsverhältnis mehr oder minder zu entziehen. Zum anderen können sogenannte Systemlieferanten den an sie gestellten Kosten- und Flexibilisierungsdruck an ihre Sublieferanten weitergeben und ebenfalls an dem beschriebenen Profittransfer teilhaben, so daß in den unteren Ebenen der Pyramide der Kosten- und Flexibilisierungsdruck weiter zunimmt. Aus der Sicht der Zulieferunternehmen (Profitinteresse und Entwicklungsmöglichkeit) kommt es also entscheidend darauf an, in die Pyramidenspitze aufzusteigen bzw. dort zu bleiben. Im Ergebnis dieser Entwicklungen ist auch in der Automobilzulieferindustrie in den letzten Jahren eine sich derzeit rasant beschleunigende Entwicklung in Gang gekommen, die von einem starken Konzentrationsprozeß und der Internationalisierung der Märkte wie auch der Produktionsstätten gekennzeichnet ist. In ihrer Folge bilden sich zum einen "Mega-Konzerne" mit diversifizierten Produktprogrammen bzw. spezialisierte Hersteller heraus, die ihrerseits ihre Marktpositionen durch strategische Allianzen mit anderen, auch "branchenfremden" Herstellern ausbauen.
Die qualitativ höheren Anforderungen der Fahrzeughersteller an die Zulieferer (Entwicklungs-, Modul- und Systemkompetenz, verkürzte Produktlebens- und Produktionszyklen, Kundenorientierung usw.) verschärfen den Kostenwettbewerb zwischen den Zulieferbetrieben, der seinerseits die Rationalisierungsanstrengungen des Managements verstärkt. Für die Zulieferunternehmen in der Pyramidenspitze (System- und Modullieferanten) entsteht zusätzlich ein enormer Innovations- und Technologiedruck.
Mit den dargestellten Reorganisationsprozessen der Zulieferbeziehungen verlagern die Fahrzeughersteller neben den technisch-organisatorischen Anforderungen auch einen Teil der Arbeitsprobleme und Beschäftigungsrisiken in die Zulieferbetriebe.
Für die Arbeitenden in allen Betrieben der Kette, einschließlich der Endhersteller, sind heterogene Auswirkungen bei den Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entgelte und der Beschäftigungssicherheit, die "systematische strukturelle Folge systemischer Rationalisierung. (...) Die Arbeitsstandards sind segmentiert, polarisiert." (Altmann/Deiß 1996, S. 92).
Insgesamt bestätigt sich auch hier der pyramidal-hierarchische Charakter von Produktionsnetzwerken. Die ungleichen Arbeitsstrukturen werden verfestigt, gering technisierte Produktionsformen mit herkömmlicher tayloristischer Arbeitsorganisation bleiben - ohne Entwicklungschancen - in erheblichem Maße erhalten.
Analog zu den ökonomischen Anforderungen hängen auch die arbeitspolitischen Effekte und die Art ihrer Bewältigung davon ab, welche Position die jeweiligen Produktionssegmente in der Pyramide einnehmen, welche Reichweite die jeweiligen Maßnahmen haben und welche Bewältigungspotentiale die Interessenvertretungen mobilisieren können.
Auch die Arbeit und Einflußmöglichkeit der betrieblichen Interessenvertretung ist von der Position des Betriebes innerhalb der Zulieferkette abhängig. Denn die von den fokalen Betrieben initiierten systemischen Rationalisierungsprozesse schlagen direkt auf die untergeordneten Segmente der Zulieferkette durch und lassen dort den Spielraum des Managements in zentralen Fragen (Technikeinsatz, Arbeitsgestaltung, Betriebszeiten usw.) erheblich sinken. Durch dieses Auseinanderfallen von Eigentumstitel und tatsächlicher, beim fokalen Unternehmen liegender, Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel und –bedingungen verlieren die Betriebsräte bei vielen wichtigen Fragestellungen und mitbestimmungsrelevanten Prozessen faktisch ihre Ansprechpartner, da das die betrieblichen Prozesse auslösende Management nicht mit dem gesetzlich definierten Verhandlungspartner der Betriebsräte übereinstimmt.
Noch problematischer ist jedoch, daß nicht nur die institutionellen Strukturen, sondern besonders das Verhandlungssystem und das damit verbundene Normensystem nicht mehr den Bedingungen der Netzwerkproduktion entsprechen: Durch die strategischen Verknüpfungen, die datentechnische Vernetzung und die komplexen Abläufe in der gesamten Wertschöpfungskette werden die Zusammenhänge zwischen einzelnen Rationalisierungsmaßnahmen, dem Einsatz neuer Technik und den qualitativen und quantitativen Folgen in der Kette immer weniger erkennbar und tendenziell - zeitlich und räumlich - entkoppelt.
Dies bedeutet, daß die Betriebsräte auf dem Feld der Beschäftigungssicherung und der Regelung annehmbarer Arbeitsbedingungen immer weniger ihre betrieblichen Erfahrungen und ihre gewohnten Verhandlungsroutinen einsetzen können. Dazu kommt, daß sich die Rationalisierungsschutzpolitik der Betriebsräte an Gesetzen und Tarifverträgen orientiert, die, entsprechend dem tayloristischen Rationalisierungsmuster, nur bei einem direkten Zusammenhang von Ursache und Arbeitsfolge greifen. Rationalisierungsfolgen sind deshalb im Rahmen bisheriger Regelungen und Verfahren kaum noch verhandelbar. Ähnliches gilt auch für die Entgeltpolitik und zum Teil für den Arbeitsschutz.
Dazu kommen die Probleme, die aus den Branchenüberschneidungen innerhalb der Produktionskette und besonders aus der Internationalisierung der Produktion herrühren. Ist eine einheitliche gewerkschaftliche Politik und die Koordination der Arbeit der Interessenvertretungen schon unter nationalen Bedingungen (Abstimmungsprobleme verschiedener Gewerkschaftsorganisationen innerhalb des gleichen Dachverbandes) nicht einfach, so ist eine internationale Koordination von strukturell, politisch und kulturell höchst unterschiedlichen Gewerkschaften und betrieblichen Interessenvertretungssystemen noch weit schwieriger.
Diese Koordination zu leisten wird jedoch immer notwendiger, da die Unternehmen im Rahmen ihrer supranationalen Organisationsstrukturen über alle Produktions- und Standortfragen auf der Basis aller hierfür wichtigen Daten und in Kenntnis der konkreten betrieblichen Situationen unter Einbeziehung der Zulieferer Entscheidungen treffen. Unter den Bedingungen internationaler Produktion verschiebt sich deshalb die Machtasymmetrie weiter zugunsten der Unternehmenden. Mit ihrer Politik des global sourcing und/oder der Drohung einer Standortverlagerung, konkret mit der Ausnutzung der Konkurrenz und durch Ausspielen der Standorte und der Belegschaften, können sie gewerkschaftliche Forderungen in erheblichem Maße unterlaufen.
Insgesamt lassen sich aus den inner- und besonders aus den zwischenbetrieblichen Entwicklungen ableiten, daß die Betriebsräte auf ihren zentralen Politikfeldern in die Defensive geraten. Sie können nur noch sehr bedingt ihre Schutzfunktion wahrnehmen, die, auf der Grundlage außerbetrieblicher, allgemeingültiger Normen, vorrangig auf die nachträgliche Regelung bereits eingeleiteter bzw. eingetretener Ereignisse ausgerichtet ist. Notwendig ist aber - nicht nur unter den Bedingungen der Netzwerkproduktion, aber hier besonders - eine konzeptionell angelegte Politik, mit deren Hilfe Betriebsräte im Vorfeld der Entscheidungen zu Fragen der Gestaltung der Arbeitsorganisation, Technik, Qualifizierung und Personalpolitik steuernd eingreifen können. Hierzu stehen ihnen jedoch nur noch schwache Informations- und Beratungsrechte zu Verfügung, die bestehenden Normen greifen kaum noch. Die Betriebsräte sind in dieser Situation auf sich allein gestellt und ohne konkrete Unterstützung der gewerkschaftlichen Organisation. Die Tendenz zur Verbetrieblichung der Interessenvertretung wird verstärkt. Dazu kommt, daß die institutionellen Strukturen eine wirksame, auf die Wertschöpfungskette abgestimmte, gemeinsame Politik der betrieblichen Interessenvertretungen behindern.
Verschärft wird diese Problematik durch die lang andauernde hohe Massenarbeitslosigkeit, die weltweite, über die Kosten vermittelte, sich intensivierende Konkurrenz und die staatlichen Deregulierungsmaßnahmen. Diese Faktoren verstärken die Wirkung der Rationalisierungstendenzen und erhöhen den Druck auf die betrieblichen Arbeitsstandards und auf die Tarifverträge. Zusammengenommen bewirken diese Prozesse eine weitere Ausdifferenzierung der Bedingungen zwischen und in den Betrieben, und damit auch der Interessenlagen unter den Arbeitenden.
Deutlich wird, daß die feststellbare Verbetrieblichung der Interessenvertretung keine Stärkung des Betriebsrates bedeutet, sondern umgekehrt diese Entwicklung zu Verhandlungsschwäche und Machtverlust führt. Ob es den Gewerkschaften unter den derzeitigen Bedingungen gelingt, diesen Verlust durch eine offensive Politik zu kompensieren, ist angesichts ihrer unklaren und defensiven Haltung und ohne entsprechende Reformperspektiven allerdings fraglich.
Der skizzierte Kosten- und Technologiedruck wirkt sich in dem hier vorgestellten Betrieb besonders prekär aus. Als konzerneigener Zulieferer mit mehr als 6000 Beschäftigten hatte das Werk bis vor wenigen Jahren noch die Funktion einer verlängerten Werkbank der Fahrzeugmontagewerke. Entsprechend bestanden bisher Kompetenzen lediglich im Produktherstellungsprozeß, und auch diese waren beschränkt auf hohe Stückzahlen, eine variantenbedingte Flexibilität war nur gering ausgeprägt. Die für einen Systemlieferanten notwendige Organisation und Erfahrungen für den Produktentstehungs- (Technische Entwicklung) und –vermarktungsprozeß (Marketing, Vertrieb) fehlten völlig.
Im Rahmen grundlegender Umstrukturierungen innerhalb des Konzerns und einer veränderten Einkaufsstrategie (global sourcing) steht das Werk seit einigen Jahren mit seinen Produkten im weltweiten Wettbewerb und wird wie ein selbständiger Zulieferer behandelt. Eine Abnahmeverpflichtung besteht für die anderen Konzernwerke nur noch im Rahmen abgeschlossener Lieferverträge, die unter üblichen Marktbedingungen (Preise, Qualität, Lieferfähigkeit, Flexibilität, Innovation) zustande kommen. Der Hintergrund für diesen Strategiewechsel des Konzerns ist, die zuliefernden Komponenten- und Aggregatewerke einem konzerninternen (durch den Aufbau zusätzlicher Fertigungsstätten im Ausland, insbesondere in sogenannten Low Cost-Ländern) und externen Kosten- und Innovationswettbewerb auszusetzen und die Vorteile unternehmensübergreifender Produktionsnetzwerke auch hier zu nutzen.
Diese Umstrukturierungen wurden vor dem Hintergrund der Krise in der Automobilindustrie Anfang der 90er Jahre durchgeführt. Der konjunkturbedingte Produktionsrückgang und die damals unzureichende Wettbewerbsfähigkeit des Werkes führten – trotz der tariflichen Arbeitszeitverkürzung auf 28,8 Std. pro Woche - zu einem dramatischen Beschäftigungsrückgang von mehr als 20% innerhalb von vier Jahren. Weitere 2300 Arbeitsplätze waren zusätzlich mittelfristig, mit dem Wechsel zur nächsten Modellgeneration, gefährdet, da das Werk weder im Preis noch in der Produktinnovation mit der Entwicklung auf dem Weltmarkt mithalten konnte. Letztlich stand die Existenz des gesamten Werkes zur Disposition. Unter diesen Bedingungen bekam für den Betriebsrat - zwangsweise - die Standort- und Beschäftigungssicherung höchste Priorität. Aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen konnte und kann diese Politik nur erfolgreich sein, wenn sie zu einer strategischen Neuausrichtung des Werkes führt, also zur Neubestimmung der Geschäftsfelder und Überarbeitung der Produktpalette entsprechend den verändernden Anforderungen und, damit verbunden, zur Anreicherung der für einen großen (System-) Zulieferer notwendigen Kompetenzen im Produktentstehungs- und Vermarktungsprozeß.
Dieser Ansatz wurde in einer auf Betreiben des Betriebsrates durchgeführten Untersuchung bestätigt: Die Erlangung einer entsprechenden Wettbewerbsfähigkeit, als Voraussetzung der Sicherung des Produktionsstandortes und der Beschäftigung, setzt den Aufbau einer eigenen Technischen Entwicklung und die Schaffung effizienter Arbeitsbereiche mit eigener Kostenverantwortung, veränderten Produktstrukturen, Arbeitssystemen und Produktionskonzepten voraus. Statt der vom Management zuerst favorisierten weiteren Automatisierung konnte der Betriebsrat mit der Werkleitung in einem "Wirtschaftlichkeits- und Beschäftigungspakt" betriebsinterne Umstrukturierungen vereinbaren, dessen zentrale Elemente eine Cost-Center-Konzeption, die Etablierung teilautonomer Arbeitsgruppen sowie der Aufbau einer eigenen Technischen Entwicklung sind. Aufgrund dieser und weiterer Umstrukturierungen, insbesondere des Mitte der 90er Jahre vereinbarten Ausbaus des Werkes zu einer relativ selbständigen Business Unit unter dem Dach des Unternehmens, sowie der Fertigungsoptimierung und des sukzessiven Aufbaus von Modulkompetenzen mit weltweiter Prozeßflußverantwortung, verbesserte sich die Produktivitäts- und Kostenstruktur des Werkes wesentlich.
Damit diese maßgeblich vom Betriebsrat vorangetriebenen Umstrukturierungen durchgesetzt werden konnten, wurde die Einbeziehung des Konzernvorstandes erforderlich. Auf durch Initiative des Betriebsrates zustande gekommenen, sogenannten Standortsymposien werden seit 1992 jährlich gemeinsam zwischen Vorstand, Werkmanagement und Betriebsrat die aktuelle Werksituation und notwendige Veränderungen beraten. Weitere Beratungsgremien mit Beteiligung von Vorstand, Werkmanagement und Betriebsrat, in die die Interessenvertretung Forderungen für den Veränderungsprozeß einbringt, wurden etabliert. Die Umsetzung dieser dort beratenen Maßnahmen erfolgt innerhalb des Werkes in enger Absprache zwischen Management und Betriebsrat. Es gibt praktisch keine Entscheidung von elementarer Bedeutung ohne Zustimmung des Betriebsrats.
Dieser seit neun Jahren dauernde Prozeß zeigt Erfolge, die unter den Bedingungen von Massenarbeitslosigkeit u. E. nicht hoch genug eingeschätzt werden können: Inzwischen konnte die Beschäftigung, auch unter dem Einfluß der guten Konjunktur, aber insbesondere wegen der durchgeführten Veränderungen, nahe an den ursprünglichen Stand zurückgeführt werden. Das Werk ist aktuell gesichert und es bestehen auch langfristige Chancen. Trotzdem müssen die unter dem Aspekt der Beschäftigungssicherung positiven Entwicklungen einer kritischen Bewertung unterzogen werden. Denn die Prozesse waren und sind nicht frei von Widersprüchen und Brüchen, die immer wieder das Erreichte und damit auch die Politik des Betriebsrats in Frage stellen:
Daß trotzdem die Bedingungen in diesem Betrieb resp. im gesamten Unternehmen nach wie vor über dem Durchschnitt liegen (vgl. hierzu Abschnitt II), liegt an der besonderen, historisch erklärbaren Kultur dieses Unternehmens und der daraus gewachsenen Politik der Kooperation und des Konsenses. Diese Politik beinhaltet auch die Anerkennung durch das Management, daß einmal erreichte Standards und die Form der Zusammenarbeit nur gemeinsam mit den Interessenvertretern verändert werden können. Daß dieser Kompromiß jedoch fragil ist und einer ständigen Bestätigung und Erneuerung bedarf, liegt außer Zweifel. Denn der grundlegende Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit ist, auch wenn seine Mechanismen komplizierter werden und deshalb schwerer zu erkennen sind, nicht aufgehoben, sondern er wirkt gerade auch unter den aufgezeigten Veränderungen fort und verschärft sich unter den Bedingungen weltweiter Konkurrenz und zurückgeschraubter staatlicher Regulierung.
Die Frage stellt sich deshalb, ob unter diesen Bedingungen eine Politik der Zusammenarbeit im Interesse der Arbeitenden sinnvoll ist. Dies gilt insbesondere für die hier dargestellte Politik eines Betriebsrates, der sich, angesichts der ansonsten aussichtslosen Situation, bewußt auf die Diskussion und Regelung betrieblicher Probleme auch unter dem Blickwinkel betriebswirtschaftlicher Argumente einläßt.
Die von uns gemachten Erfahrungen führen dazu, daß wir diese Frage bei aller angebrachter Skepsis bejahen. Ohne die in den letzten Jahren gemachte Arbeit, und dazu gehören auch die eingegangenen Kompromisse, würden dieses Werk, wenn überhaupt, nur noch als Rumpf mit entsprechend niedrigen Standards existieren. Die Arbeitslosigkeit in der Region, jetzt schon bei ca. 16%, wäre entsprechend höher. Angesichts dieser Situation läßt sich aus unserer Sicht deshalb diese Politik nicht grundsätzlich infrage stellen. Zu fragen ist allerdings nach ihren Grenzen.
Eine auf Konsens und Kompromiß begründete Politik, die im übrigen das Grundmuster der Betriebsverfassung darstellt, kann nur solange wirksam sein, wie sich beide Seiten Vorteile erhoffen können: Arbeitsplätze zu annehmbaren Bedingungen auf der einen Seite, Profit sowie auch die Erwartung von strategischen Vorteilen durch eine konzerneigene Komponentenfertigung auf der anderen. Dazu kommen die vielfach beschriebenen Eigeninteressen des örtlichen Managements, die sich aufgrund verschiedener Einflußfaktoren (nicht zuletzt auch das eigene Arbeitsplatzinteresse und die Einbindung in regionale Zusammenhänge) von denen der Zentrale abheben können. Insofern bestehen sehr wohl partielle Interessenidentitäten zwischen Management und Interessenvertretung, die aufgrund der Einbettung in andere Zusammenhänge nicht statisch sind und ständig neu geschaffen werden müssen.
Der Betriebsrat hat für sich die Grenzen dort verortet, wo seine Ziele, Beschäftigungssicherung und qualitativ hochwertige Arbeitsbedingungen, nicht mehr erreichbar sind. Um dieses Ziel unter den gegebenen Umständen erreichen zu können, muß der Betriebsrat in der Lage sein, im Zweifels- und Konfliktfall seine wirkliche Stärke - die Aktions- und Konfliktfähigkeit der Belegschaft - zu mobilisieren. Nur in dieser Verbindung von "neuer" Betriebsratspolitik (die von manchen fälschlich als Co-Management, von uns jedoch als Politik der Gegenmacht und qualifizierte Mitbestimmung oder scherzhaft als "Contra-Management" bezeichnet wird), wird es möglich, daß die notwendigen Kompromisse nicht permanent zu Lasten der Arbeitenden entschieden werden.
Diese Mobilisierungsfähigkeit der Belegschaft ist allerdings, je komplexer und damit immer schwerer nachvollziehbar die Politik des Betriebsrates wird, immer schwieriger herstellbar. Wenn hier nicht die Ebene der reinen Informationspolitik verlassen und ein Ansatz der Einbeziehung der Arbeitenden in die Entwicklung der Politik gefunden wird, kann dies kaum erreicht werden. Grundvoraussetzung hierfür ist eine funktionierende Gewerkschafts- und Vertrauensleutearbeit, auf die sich auch dieser Betriebsrat nach wie vor stützen kann. Aber selbst unter solchen Voraussetzungen ist die Umsetzung dieser Problematik schwierig.
Ein anderer wichtiger Aspekt zur Durchsetzung der Interessen der Beschäftigten ist, unter den Bedingungen internationaler Produktion und Konkurrenz, die Internationalisierung der Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit.
Die angesprochenen Problematiken (vgl. Abschnitt III), die sich aus den unterschiedlichen Systemen der Interessenvertretung sowie den politischen und kulturellen Verschiedenheiten ergeben, sind zwar ernsthafte, aber nicht unlösbare Hindernisse. Dabei muß es insbesondere darum gehen, die positiven Erfahrungen und Ansätze der Interessenvertretungen der verschiedenen Länder zusammenzuführen und deren Eigenständigkeit und Wirksamkeit nicht durch das Überstülpen bundesdeutscher Modelle und Lösungen zu behindern.
Diese Überlegungen stehen auch bei den VW-Betriebsräten im Mittelpunkt der Überlegungen bei der Schaffung internationaler Strukturen. Bereits 1990, also lange bevor eine gesetzliche Grundlage bestand, wurde bei Volkswagen ein Europäischer Konzernbetriebsrat gegründet. Im April 1999 wurde das südamerikanische Pendant für die brasilianischen und argentinischen Tochterunternehmen gebildet. Beide werden sich ab Mai 1999 unter dem Dach des dann gegründeten Weltkonzernbetriebsrats befinden. Daß es sich hier nicht um formale Gebilde, sondern um wirksame Instrumente der Interessenvertretung handelt, hat sich erst vor wenigen Wochen beeindruckend bestätigt, als in Brasilien mit Unterstützung des Konzernbetriebsrates Massenentlassungen verhindert und eine Lösung ähnlich der 1993 in der Bundesrepublik eingeführten Beschäftigungssicherung durch Arbeitszeitverkürzung geschaffen wurde. Diese Unterstützung war möglich, weil in den zwei bisher abgehaltenen Weltarbeitnehmerkonferenzen bei Volkswagen die Kontakte und das Vertrauen zwischen den Interessenvertretungen der verschiedenen Länder hergestellt werden konnten.
Ähnlich positive Erfahrungen wurden in den vergangenen Jahren im Euro-KBR gemacht. Über die gegenseitige Information hinaus geht es insbesondere um die Koordination einer gemeinsamen Politik, um im Rahmen der Investitionspolitik des Konzerns als auch bei den durch die internationalen Produktionsstandorte möglich gewordenen Verschiebungen von Produktionsumfängen die Interessen der Beschäftigten aller Standorte umfassender wahrnehmen zu können. Gerade für die Zulieferwerke auch dieses Konzerns ist diese Koordination in Zukunft von zentraler Bedeutung und muß zu einem weiteren Standbein einer wirkungsvollen Interessenvertretungspolitik werden.
Ohne das sich entwickelnde Instrument der internationalen Betriebsräte überzubewerten, muß festgehalten werden, daß hier die unverzichtbaren organisatorischen Grundlagen für eine internationale Politik als Gegenpunkt zu der der Konzerne geschaffen wurden. Solange es sich hier allerdings noch um relativ seltene Gremien handelt und diese auch nicht in ein internationales Netzwerk unter Beteiligung aller relevanten gewerkschaftlichen Organisationen einbezogen sind, bleibt ihre Wirksamkeit entsprechend begrenzt. Es kommt deshalb nun auch darauf an, daß in allen infrage kommenden Konzernen die Bildung von Eurobetriebsräten forciert wird und die Zusammenarbeit auch auf der gewerkschaftlichen Ebene, unter Einbeziehung aller betroffenen Gewerkschaften und ohne einzelne Organisationen wegen bestimmter politischer Vorbehalte auszuschließen, vorangetrieben wird.
Nur so läßt sich auch eines der zentralen Probleme von Produktionsnetzwerken lösen: Die nicht zu einem Konzern gehörenden Zulieferer können bisher ebensowenig erfaßt werden wie eine unternehmensübergreifende Koordination über Staatsgrenzen hinweg bisher kaum stattfindet. Damit dies möglich wird, müssen wirkungsvolle Instrumente für die internationale Zusammenarbeit der zuständigen Gewerkschaften geschaffen werden.
Allerdings darf bei der Diskussion über die Internationalisierung der Betriebsratsarbeit die Notwendigkeit aktiver Arbeit vor Ort nicht in den Hintergrund treten. Denn erst mit der konkreten Umsetzung internationaler Abmachungen vor Ort ergibt sich ein Sinn und zeigt sich die Bedeutung der örtlichen Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit bei ihrer gleichzeitigen Internationalisierung. Dieser Verbund örtlicher und internationaler, betriebsrätlicher und gewerkschaftlicher Arbeit wird zwar auf Kongressen propagiert, hat jedoch in die konkrete Tagesarbeit bei den wenigsten Betriebsräten Eingang gefunden. Dieses Problem muß bald gelöst werden.
Denn durch die Internationalisierung der Produktion sind wir der Marxschen Losung von den Proletariern aller Länder, die sich zu vereinigen haben, zwar schon sehr nahe gekommen. Allerdings im umgekehrten Sinn. Und es wäre ein Treppenwitz der Geschichte und in seiner politischen Wirkung auch äußerst schädlich, wenn diese Vereinigung aufgrund der durch das Kapital geschaffenen Fakten und nur im Produktionszusammenhang zustande kommen würde und nicht durch die freiwillige Assoziation der Betroffenen zur Durchsetzung ihrer Interessen.
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Pohlmann, Markus; Apelt, Maja; Buroh, Karsten; Martens, Henning (1995): Industrielle Netzwerke: Antagonistische Kooperation an der Schnittstelle Beschaffung-Zulieferung, München und Mering
Dieser Artikel ist veröffentlicht in Z - Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Heft 39, September 1999. Das Jahresabo kostet 60 Mark. Heft 39 kann von NutzerInnen des LabourNet Germany zum Sonderpreis von 15 Mark unter Bezug auf diesen Hinweis bestellt werden bei
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