letzte Änderung am 06. Juni 2002

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Wir Gewerkschaftslinken können stärker werden!

Wolfgang Schaumberg zum Metalltarifkampf 2002

»Es passt nicht zu einer modernen Firmenkultur, wenn man vormittags Verantwortung partnerschaftlich an die Arbeitnehmer delegiert und nachmittags eben jene Arbeitnehmer vor die Tür setzt.« – Damit begründete M. Kannegießer, Präsident des Metall-Unternehmerverbandes, mitten in der heißen Phase beginnender Massenaktionen seine Skepsis, ja geradezu Angst, eventuell Aussperrung planen zu müssen. Aber auch seine Angst vor bewusstseinsmäßigen Folgen einer Streikausweitung: »Morgens kämpfen die Mitarbeiter darum, ihren Betrieb über Wasser zu halten, und nachmittags gehen sie mit der Axt auf ihn los.« (HB, 6. Mai 2002)

Die Beschwörung von »Partnerschaft«, Mitarbeiterverantwortung für »ihren« Betrieb, »corporate identity«, ist bekanntlich gängiges Managementziel, Kernpunkt aller Gruppenarbeits- und Lean-production-Konzepte. »Mitbestimmung« (heute bezeichnenderweise meist »Mitgestaltung« genannt) will nichts anderes. Voll auf gewerkschaftlicher Linie ist somit zum Beispiel der wiedergewählte BR-Vorsitzende P. Jaszczyk bei Opel in Bochum, wenn er die Belegschaft in seinem Infoblatt (4. Dezember 2001) zum Rationalisierungsplan »Olympia« ermutigt: »Wir schaffen es, die A. Opel AG wieder zu einem stabilen Unternehmen zu machen, das in der Lage ist, echter Konkurrent zu anderen Automobilherstellern zu sein.« Dieser betrieblichen Ausrichtung von Gewerkschaftspolitik entspricht die nationale seitens der Gewerkschaftsführung: Unablässig predigten unsere IGM-Chefs, der Tarifabschluss sollte »die Wirtschaft«, »den Aufschwung« nicht gefährden, ja sogar durch die Lohnerhöhung voranbringen.

 

Für uns als Gewerkschaftslinke steht jetzt zur Debatte:

Aufklärung über die langjährig entwickelte politisch-ideologische Ausrichtung der DGB-Gewerkschaften ist genauso notwendig, samt solidarischer Offenlegung von Differenzen in unseren Reihen. Die IGM-Führung hat ihren Kurs nicht verraten, sondern durchgesetzt. »Ein stabilitäts- und wettbewerbswidriger Abschluss käme einer Bankrotterklärung des Bündnisses für Arbeit gleich. Die IGM-Hardliner erweisen ... der Sozialpartnerschaft und dem Konsens- und Bündniskanzler Gerhard Schröder einen Bärendienst«, kommentierte das Handelsblatt (7. Mai 2002). Dumme Sorge, auf die »gesamtwirtschaftliche Vernunft« (Bsirske in FR, 10. Mai 2002) der Gewerkschaftsführung ist doch Verlass. »Hardliner« gab es eher unter den Streikenden. Rituelle Drohgebärden gehören seit eh und je zur Mitbestimmungskultur in den oberen Gewerkschaftsetagen. Eine massive Ausweitung des Streiks war genauso wenig gewünscht wie eine im Falle von Aussperrungen unvermeidliche offene Konfrontation mit der Bundesregierung wegen dem nicht eingehaltenen Wahlversprechens, die gesetzliche Einschränkung des Streikrechts (§146 SGBIII) wieder zurückzunehmen. Wir Gewerkschaftslinken wie die meisten Aktiven waren von Anfang an in dieser Hinsicht äußerst skeptisch, gleichzeitig wohl organisatorisch wie argumentativ noch zu schwach, zurückhaltend und uneinig, die offizielle Linie der »wirtschaftlichen Vernunft« samt dem ihr weitgehend entsprechenden Massenbewusstsein zu durchbrechen. Massenbewusstsein durchbrechen?

Aber die Gewerkschaftsführung hatte auch Angst. Schon die Forderung war von seiten vieler Belegschaften beängstigend hochgedrückt worden. »Je länger sich der Arbeitskampf hinzieht, desto schwieriger wird die Befriedung in den Betrieben«, so äußerte sich typischerweise ein IGM-Ortsbevollmächtigter mitten in der Streikphase (Junge Welt, 8. Mai 2002). Können wir nicht anhand der jetzt erlebten Erfahrung vieler Kolleginnen und Kollegen von eigener Macht und Ohnmacht innerhalb der Gewerkschaft die Debatte um die offizielle Gewerkschaftspolitik und die eigenen widersprüchlichen Anforderungen und Verhaltensweisen als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter voranbringen? »Befriedung in den Betrieben« als gewerkschaftsoffizieller Beitrag zum bundesdeutschen Kapitalismus, »Betriebsfrieden« als akzeptierte gesetzliche Aufgabe der Betriebsräte und damit der wichtigsten Gewerkschaftsrepräsentanten vor Ort, diese praktische Ausrichtung kennzeichnet nach wie vor die Rolle unserer Gewerkschaften im Machtgefüge. Von friedlichem Interessenausgleich träumen aber auch die meisten unserer Kolleginnen und Kollegen.

Doch friedlicher »Interessenausgleich« wird offensichtlich immer schwieriger, ein als »vernünftiger Kompromiss« verkaufter Abschluss einer betrieblichen oder bundesweiten Auseinandersetzung mit den Unternehmern immer unglaubwürdiger. »Zum Verzichten brauche ich keine Gewerkschaft«, ist vieldiskutiertes Thema, häufig Austrittsmotiv in den Betrieben. Gleichzeitig wurde jetzt wieder die Erfahrung gemacht, dass man zu Erhalt oder Verbesserung seines Lohnes, seiner erreichten Standards wohl am ehesten ein Chance hat, wenn man überbetrieblich organisiert ist und möglichst breit Front macht gegen das Unternehmerlager. Diese Front aber setzt wiederum ein anderes Bewusstsein voraus, über das wir zuerst streiten müssen, um es voranbringen zu können.

Praktische Konsequenz für die Gewerkschaftslinke? »Nicht aus der Gewerkschaft austreten!« reicht jetzt nicht als Parole, auch nicht die allgemeine und historisch völlig unbedarfte Aufforderung »Machen wir die Gewerkschaften wieder zu einer Kampforganisation!« Die Gewerkschaftslinke stärken durch Teilnahme an unseren Diskussionen und Aktivitäten, in den Betrieben und Gewerkschaften ermutigen zur Bildung von AktivistInnen-Gruppen, zum systematischen Verbreiten von Betriebszeitungen und -infos, dabei die Erfahrungen mit der offiziellen überbetrieblichen und betrieblichen Gewerkschaftspolitik genauso diskutieren wie die Widersprüche im eigenen Denken und Verhalten von uns und unseren Kolleginnen und Kollegen, dazu könnte uns die Tarifrunde jetzt einen neuen Anstoß geben. »Es geht um die Hauptaufgabe der Gegenwart und die Schlüsselfrage der Zukunft: ›Wie, mit welchen Mitteln und zu welchem Ziel kann und muss der globale Kapitalismus politisch gestaltet und sozial reguliert werden?‹ Im Mittelpunkt stehen nicht gesellschaftliche Visionen und politische Alternativen jenseits des Kapitalismus, sondern realistische Optionen und konkrete Projekte im Kapitalismus, die diesen verändern«, so die Ausrichtung der IGM-Führung für die gewerkschaftsoffizielle Zukunftsdebatte. (GMH, 2/2001) Wir müssen die Frechheit verbreitern zu sagen: »Schnauze voll von euren so genannten realistischen Optionen, eurer Mitgestaltung des Kapitalismus! Eure Politik, auch jetzt wieder in der Tarifrunde, trägt dazu bei, dass wir ärmer werden. Unser Alltagskampf wie unsere Zukunft sind davon abhängig, wie wir die Widersprüche und Zwangsgesetze unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung erkennen und praktisch aufgreifen. Gesellschaftliche Visionen und politische Alternativen jenseits des Kapitalismus wollt Ihr nicht diskutieren. Wir müssen das.«

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 5/02

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