Debattierklub? Ja bitte!

Ein Kommentar zum zweiten bundesweiten Treffen der Gewerkschaftslinken

 

Am Schluss ist also doch "etwas rausgekommen". Der Arbeitsausschuss der Initiative für Vernetzung der Gewerkschaftslinken werde versuchen, so wurde vom Podium des Treffens verkündet, im kommenden Jahr eine breite bundesweite Demo in Berlin organisieren. Ziel der Demo: den Protest gegen die neoliberale Politik der Bundesregierung mit der Ablehnung des "Bündnisses für Wettbewerbsfähigkeit" zu verbinden.

Beifall und Verblüffung hielten sich die Waage. Während einige sich über die Aktions orien tierung freuten, fragten sich andere, wie bitte diese Demo zustande kommen solle. Eine Teilnehmerin merkte an, sie sähe sich nicht in der Lage, in ihrem DGB-Kreis die löbliche Idee auch umzusetzen und wenigstens zwei Busse für eine solche Berlin-Demo zu füllen. Dass sie die einzige war, die sich dazu äußerte, spricht nicht für die Wahrscheinlichkeit, dass die anderen mobilisierungsfähiger sind.

Diese Differenz zwischen dem Wünschen, Wollen und Einfordern auf der einen Seite und der Skepsis über die realen Möglichkeiten des versammelten Kreises andererseits kennzeichnete die gesamte Tagung. Sollten aus den Diskussionsbeiträgen zwei Strömungen herausdestilliert werden, so ließen sich diese – nur wenig vergröbert – so darstellen:

Ein Teil der Anwesenden argumentiert, als sei "die Gewerkschaftslinke" bereits eine mehr oder weniger organisierte Formation, die –angesichts der neoliberalen Politik von Rot/Grün – der Unzufriedenheit weiter Teile der Beschäftigten Orientierung geben und entsprechenden inner- und aussergewerkschaftlichen Druck entfalten müsse, um auch die zaudernden oder gar mit dem Schröder-Kurs sympathisierenden Gewerkschaftsführungen zur Aktion zu drängen.

Den anderen Teil eint eher die Skepsis und das Wissen über die engen Grenzen der eigenen Mobilisierungsfähigkeit. Für diese TeilnehmerInnen steht eine kritische Bestandsaufnahme und der Beginn einer Selbstverständigung auf der Tagesordnung, was nicht aus-schließt, dass über diesen Kreis auch Verabredungen getroffen werden könnten, aber dies gilt nicht als unmittelbares Ziel.

Die so dachten, hatten mehr vom Stuttgarter Treffen, das nämlich gerade dann besonders interessant war, wenn die unterschiedlichen Positionen derer, die sich unter dem Label "Gewerkschaftslinke" trafen, in ihrer ganzen Bandbreite ausgetauscht wurden. Diejenigen hingegen, die mehr gemeinsame Aktionsorientierung und organisatorische Formierung anstreben, mussten sich fragen, ob dies nicht allein schon wegen der Heterogenität der TeilnehmerInnen nur sehr schwer und allenfalls punktuell zu erreichen sein wird.

Das Spektrum der Gewerkschaftslinken, so wie sie sich in Stuttgart präsentierte, ist sowohl politisch wie soziologisch ausgesprochen breit. Es umfasst beinahe alle Strömungen der alten und (ehemals) neuen Linken und reicht von der oberen Gewerkschaftsbürokratie bis hinunter zu einfachen Mitgliedern. Angesichts des hohen Altersdurchschnittes verwundert allerdings, mit welcher Zuversicht sich einige der regionalen Strukturen als "Zukunfts"foren definieren. Was die meisten TeilnehmerInnen verbindet ist ihre Tätigkeit in gewerkschaftlichen und betrieblichen Zusammenhängen oder zumindest ihr positiver Bezug darauf. Die VertreterInnen der Erwerbslosen- und Sozial-Inis stehen, weil sie nur selten in gewerkschaftlichen Strukturen aktiv sein können, trotz aller Sympathiebekundungen immer noch etwas am Rande – mit einiger Skepsis ihrerseits, was sie von dieser Gewerkschaftslinken erwarten können.

Inhaltlich ist der gemeinsame Nenner des Treffens das Beharren auf der sozialen Frage sowie die Zurückweisung der neoliberalen Krisenlösung in Gestalt der Pläne der gegenwärtigen Bundesregierung. Das war’s dann aber auch schon.

So gibt es keine gemeinsame Einschätzung der aktuellen Situation:

- Sollen die Gewerkschaften in jedem Falle aus dem ‘Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit’ aussteigen oder nicht?

- Sind die Aktionen der Holzmann-Arbeiter nun Zeichen neuer Bewegung innerhalb der Klasse oder Ausdruck alter Arbeiterbewegungsmisere oder beides zusammen in seiner Widersprüchlichkeit?

- Verabschiedet sich jetzt die Sozialdemokratie von den Gewerkschaften oder hat sie das schon längst? Ist dies ein Problem oder eine Hoffnung?

Die Beispiele könnten beliebig erweitert werden. Einen – undiskutierten – Konsens gab es lediglich in der Kritik des ‘Bündnisses für Wettbewerbsfähigkeit’ und der bisherigen Form der Tarifrente mit 60. Das bleibt aber folgenlos, wenn nicht die unterschiedlichen Begründungen für eine Ablehnung diskutiert werden – und damit auch für die Tagespolitik relevante Differenzen innerhalb der B&G-Linken aufgedeckt werden.

Besonders wohlwollend wurden auf dem Treffen Beiträge aufgenommen, die Fragen formulierten. So wie die für eine Gewerkschaftslinke zentrale, nämlich was denn heute unter "Arbeiter- oder ArbeiterInnenbewegung" zu begreifen sei. Als Arbeitsaufgaben stehen zur Klärung immer noch an, was denn die Zukunft der Arbeit sei bzw. sein soll, und nicht zuletzt zumindest die Skizzierung eines linken Zukunftsentwurfs.

Angesichts all dessen kann die Stärke solcher Treffen derzeit nur in der Selbstverständigung via Austausch und argumentativem Streit und nicht im Beschluss liegen. Dies offenbarten auch alle vorgelegten Grundsatzpapiere und Plattformen. Auf einen imaginären Minimalkonsens ausgerichtet, vermeiden sie die thesenartige Zuspitzung, wirken in weiten Teilen schlicht langweilig, provozieren niemanden und so auch keine Diskussion. Es war gut, dass keines der Papiere zur Abstimmung gestellt wurde.

Diejenigen, die sich zu Aktionen oder Aufrufen vernetzen wollen, werden auch durch weitere bundesweite Diskussionstreffen nicht daran gehindert, dies zu tun, und diejenigen, die derzeit keine Grundlagen für die Herausbildung einer "organisierten Gewerkschaftslinken" sehen und deshalb gemeinsamen Aufrufen besonders kritisch gegenüber stehen, werden sich wie bisher an allen Aktivitäten beteiligen, die ihnen sinnvoll erscheinen.

Die bundesweiten Treffen der Vernetzungsinitiative sollten deshalb ihren Diskussionscharakter behalten. In diesem Sinne mit Interesse zum nächsten bundesweiten Treffen im kommenden Jahr!

H.D.

Erschienen in: express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Nr. 11-12/1999