letzte Änderung am 24. Februar 2004

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»Berliner Gewerkschaftslinke« Reloaded: Neuaufbruch im Windschatten des 1.11.2003 ?!

Ein (Stimmungs-)Bericht von Oliver Schultz

36 Kollegen und Kolleginnen trafen sich diesen Dienstag, den 17.2.03 im Berliner DGB- Haus. Eigentlich nicht das Umfeld für klare Entscheidungen, denn der richtungsweisende Wind des 1. November ist hier bislang kaum durch die Eingangstüren geweht.

So erhalten die jetzt bevorstehenden europaweiten Protesttage am 2., 3. und 4. April ihre Dynamik und ihren Fokus sowohl aus der europaweit wachsenden Verzweiflung von Erwerbslosen und Erwerbstätigen wie auch aus solch wegweisenden Ereignissen wie der Berliner Großdemonstration am 1.11.. Und letztere ist bekanntermaßen kaum einer entsprechenden Entschlossenheit deutscherGewerkschaftsvorstände zu verdanken. So arbeitet man hier in der offiziellen Gewerkschaftszentrale momentan eher daran den potentiellen transnationalen Wutausbruch in eine Art karnevaleske Massenprotestschunkelei verpuffen zu lassen – nachdem man auf einen Zug aufgesprungen ist, den andere in Bewegung gebracht haben [http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/koordinierung.html]. Und so droht der Protest der Betriebe und der Straßen derzeit entweder in eine harmlose Verlängerung des Europawahlkampfes oder in eine getarnte Werbekundgebung für den Standort Deutschland bzw. Europa zerstäubt zu werden..

Aber auch andere Dinge tun sich in diesem Haus. Denn es gibt einen wachsenden Kreis von Gewerkschaftsmitgliedern, Betriebs- und Bewegungsaktivisten, die mit einem Tick neuer Beschwingtheit der Meinung sind, Kollegen hätten mehr verdient als die Zustimmung zu Öffnungsklauseln und Lohnverzicht, zischend ertragener Privatisierung, still geduldeter Drangsalierung von Erwerbslosen, beschämte Nachbesserungsversuche sozialdemokratischer Sozialkürzungen sowie der Fesselung der Kollegen an eine rein »Standort«-orientierte Politik. Es regt sich Unbehagen mit der zunehmend ausgetrockneten, zahn- und alternativlosen Stellvertreterpolitik von Gewerkschaftsvorständen, denen immer mehr Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen die Kungelei mit marktförmig gewendeten Sozialdemokraten nicht mehr durchgehen lassen wollen.. Darum traf man sich hier auch ohne Funktion in Bundesvorständen und über Gewerkschaftsgrenzen hinweg, um über Sinn und Zweck einer »Berliner Gewerkschaftslinken« zu beraten.

Kamen hier in der Keithstraße auf den ersten Eindruck die »üblichen Verdächtigen« zusammen, Gesichter aus zahlreichen gewerkschaftlichen und gewerkschaftsnahen Arbeitskreisen, Gremien und Initiativen wie man sie bei jedem guten Vernetzungs-Treffen von Gewerkschaftslinken letztesd Jahr in Berlin treffen konnte, so war diesmal etwas anders. Es schien als wäre eine entscheidende Brise Salz in den Eintopf gerührt worden, auch wenn aus den alten Zutaten Erwartungs gemäß nicht auf der Stelle eine Minestrone wurde. Die Kollegen und Kolleginnen, die aus GEW, IG BAU, ver.di, IGM, Bündnis gegen Sozial- + Bildungsraub, Erwerbslosen-Initiativen u.a. Strukturen hier zusammen kamen, verkörperten nicht nur den zunehmenden Druck in den Betrieben und im gesellschaftlichen Raum und die Einsicht, dass man als aufrechter Gewerkschafter zunehmend auf sich selbst gestellt ist, sondern sie schienen auch allesamt noch »das entscheidende Bißchen« beseelt vom Treffen der bundesweiten Gewerkschaftslinken zwei Wochen zuvor.

Unter diesem Etikett trafen sich nämlich am 31.1. zum 6. Male, diesmal in Berlin, 150 Kollegen und diskutierten die »Krise der Gewerkschaften«, welche man ebensogut auch als »Krise der Gewerkschaftslinken« bezeichnen kann [6. Kongress der Gewerkschaftslinken: "Gewerkschaften in der Krise - wie weiter ?"]– ganz wie bei einem etwas ungleichen Paar siamesischer Zwillinge. Bei diesem bundesweiten Treffen waren die Hälfte der Anwesenden, also immerhin 75, aus Berlin. Und eine der wohl vorwärtsweisenden Teilveranstaltungen dort war das erste Sondierungstreffen, bei dem die Bildung einer Berliner Sektion eben dieser Gewerkschaftslinken ausgelotet wurde. In Stuttgart, München, Mannheim, Wiesbaden Köln gibt es bereits solche Sektionen ebenso wie für die Regionen Ruhrgebiet und Ost-Westfalen-Lippe (s. http://www.labournet.de/GewLinke/profile/index.html). Wurde am 31.1. auch kaum diskutiert, was denn eine Berliner Gewerkschaftslinke gewerkschaftspolitisch eigentlich ausmache, so fiel dort nicht nur der Entschluß für ein konstituierendes Treffen, bei dem jede(r) seine Erwartungen und Angebote an eine solche Struktur formulieren sollte. Hier fiel darüber hinaus, bereits mehrfach das entscheidende Zauberwort, das immer noch eben jenen wesentlichen und entscheidenden Impuls setzte, der die Berliner Runde diesen Dienstag von allen vorhergehenden Treffen vergleichbarer Zusammensetzung und Ausrichtung im letzten Jahr unterscheiden sollte. »Verbindlichkeit!« hallte es bei der Zusammenkunft vom 17.2. in diesen Hallen noch vom bundesweiten Treffen her nach. So wurde diesmal – neben den üblichen Befindlichkeitsdiskussionen, die sich in diesen eingeschworenen Kreisen gerne ritualhaft einstellen – eher diskutiert, was man denn eigentlich mit »organisierten Strukturen« meinen könnte, und was nicht.

Aus der Runde heraus bildeten sich drei Arbeitsgruppen, in denen jede/r der Anwesenden sowohl seine Erwartungen wie auch seinen eigenen potentiellen Beitrag zu einer Gewerkschaftslinken benennen Die Erwartungen an eine »Berliner Gewerkschaftslinke«, die das wieder vollständige Forum aus den drei Gruppen zusammentrug, brachten dann auch die üblichen Ingredienzien gewerkschaftslinker Versammlungen auf den Tisch: von Vernetzung über Informationsaustausch bis hin zur Koordinierung von betrieblichen Widerstand und der Diskussion »gesellschaftlicher Alternativen« war alles enthalten. All dies, so war man sich auch im Raum einig seien notwendige Aspekte einer gewerkschaftslinken Arbeit. Diesmal aber, so der neue Akzent dieses Treffens, pendelte sich das Maß innerhalb dieser maximalen Normalverteilung von Möglichkeiten und Vorschlägen aber auf eine richtungsweisende und bisher unausgefüllte Mitte ein.

So wurde unterstrichen, dass man, wenn man es mit der »Berliner(!) Gewerkschaftslinken« ernst meint, auch ernst meinen müsse mit einer weitergehenden politischen Orientierung eben als »Gewerkschaftslinke(!)«.So wie es eine Teilnehmerin aus der ver.di auf den Punkt brachte, gilt es als eine gewerkschaftliche Politik zu entwickeln, die sich gerade nicht als »linke Abfederung betrieblicher und sozialer Kahlschlagspolitik« versteht. Dementsprechend müsse nach Lage der Dinge aktuelle Politik hier vor Ort konkret herausgefordert werden, was aber gleichzeitig und zwangsläufig dazu veranlasse, den Kurs der Gewerkschaftsführung dauerhaft mit organisiertem Druck zu begleiten.

War mit solchen Statements, die auch an diesem Abend allenthalben noch aus der Bauchregion der erfahrenen und gestandenen Betriebs- und Gewerkschaftsaktivisten kamen, natürlich noch keine wirkliche politische Identität geschweige denn eine Plattform zusammen zu kochen, so zeigte sich in dieser Diskussion doch zwischen allen Stühlen ein wenig mehr Hunger auf eine Gewerkschaftslinke, welche den Namen verdient. Dazu passte auch, dass einige der eingefleischtesten IGM- und ver.di-Aktivisten an dieser Stelle darauf hinwiesen, dass jeder Neueinsatz mehr sein muss als die drei oder vier bisherigen Versuche einer solchen organisierten Konzentration und Bündelung der verstreut vorhandenen Kräfte (s. etwa »Bericht von der Veranstaltung "...die Vernetzung der Gewerkschaftslinken muss vorangebracht werden", Berlin, 26.11.2001«). Als Chance wurde auch noch einmal die Tatsache hervorgehoben, sich mit einer Berliner Struktur bewusst in einen bundesweiten Kontext mit bestehenden Ressourcen und einem klaren Profil zu stellen. Ein bißchen klang das auch wie ein Aufruf an das knurrende Hündchen auch wirklich mal zu springen.. Ernste Stimmen aus dem erfahrenen und leidgeprüften Hintergrund betrieblicher und gewerkschaftlicher Klein- und Strukturarbeit vor Ort mahntenalle Anwesenden, sich diesmal ernsthaft auf einen gemeinsamen Schritt nach vorne zu einigen und merkten an, dass ein andauernder Stillstand in dieser Frage sich irgendwann zu einer manifesten Schwäche auswachsen würde.

Nicht ganz klar, und das war wohl eine der Hauptschwächen des Treffens, war dabei immer der spezifische Berliner Bezug und welche Aufgaben, Vorhaben und politischen Programmpunkte sich eine eben in Berlin und unter den hiesigen Bedingungen formierende »Gewerkschaftslinke« inhaltlich und organisatorisch über eine Selbstverständigung hinaus zu stellen habe. Aber man war zu diesem Zeitpunkt immerhin doch schon vom gewohnten Bellen zum freien Sprung übergegangen: schnell wurde die im Saal verteilte Stimmung zu einigen sehr konkreten Überlegungen und Entschlüssen kondensiert. Man sprach – so der neue Ton des Treffens – davon inhaltliche Schwerpunkte zu setzen und entsprechende Strukturen dafür ins Visier zu nehmen. Bevor noch jemand zaudern konnte, war entschlossen diesmal doch einen »Koordinierungskreis« zu bilden. Dieser sollte auch sich um das gezielte Zusammenstellen von Informationen aus den angeschlossenen Bereichen, ein regelmäßiges Rundschreiben vielleicht, die Vorbereitungen von regelmäßigen Treffen zwecks einer strukturierten und effektiven Ordnung und weiteres kümmern, so dass es bei künftigen Treffen auch zu handlungsrelevanten Ergebnissen kommen kann. Unterstrichen wurde im selben Atemzug, dass es eine »qualifizierte« Einladungspolitik geben sollte, die gleichzeitig als ausdrücklich »Offen« angelegt ist. So ist der »Koordinierungskreis« zukünftig dafür verantwortlich, dass es nachvollziehbare Tagesordnungspunkte gibt, entsprechend engagierte und qualifizierte Kollegen und Kolleginnen zur Vorbereitung oder Ausarbeitung einzelner Fragen eingeladen werden; aber auch dafür, dass diese strukturierten Termine allen Kollegen und Kolleginnen bekannt werden, denen entweder betriebliche und soziale Probleme auf der Haut brennt oder auch die realexistierende Gewerkschaftspolitik manche Träne in die Augen treibt. Die »Berliner Gewerkschaftslinke«, so eine weitere entscheidende Nuance an diesem Abend soll sich nicht auf die Selbstverwaltung der bestehenden Küchenvorräte beschränken, sondern will sich auch neues Blut und frisches Fleisch unter den tausenden unzufriedenen Kollegen und Kolleginnen zulegen. Der ad hoc durch Zuruf zusammengestellte »Koordinierungskreis« wurde vorerst mit sechs Kollegen ausgestattet und es wurde festgehalten, dass hier nach Möglichkeit verschiedene Einzelgewerkschaften wie auch Vertreter der Erwerbslosen repräsentiert sein sollten. Ohnehin rechnen diejenigen, die letztes Jahr an den diversen Treffen teilgenommen hatten mit einem derzeit schon bestehenden Kreis von ca. 100 Kollegen und Kolleginnen, die bewiesenermaßen bereit sind sich aktiv an solchen Initiativen zu beteiligen.
War die Struktur schnell mit Personen und Namen gefüllt, so hinkte die inhaltliche Diskussion noch ein bißchen hinter her. Man versprach sich das zukünftig – und mit der Hilfe eben jenes »Koordinierungskreises« – zu bearbeiten. Doch fielen schon einige Stichworte, die zukünftigen Felder einer gewerkschaftslinken Arbeit in Berlin benennen könnten: »Tarifpolitik«, »Koordinierung betrieblicher Aktionen« (etwa am europaweiten Aktionstag, also am 2. und 3.4. in Berlin), »Privatisierung« sowie »Erwerbslosigkeit« und die damit zusammenhängende Sozialpolitik vor allem in Berlin. Im Raum stand die Idee, die Zusammenarbeit Aller zukünftig in Arbeitsgruppen zu diesen (oder ähnlichen) Themen zu organisieren. Das Vorhaben einer eigenständigen linken Analyse und Kommentierung der aktuellen Tarifpolitik für Berlin wurde auch sofort konkretisiert: es soll in Absprache mit der bundesweiten Arbeitsgruppe der Gewerkschaftslinken daran gearbeitet werden die Stellungnahme zur laufenden IGM-Tarifrunde auch auf Berliner Zusammenhänge herunter zu brechen – und hier vor Ort in schicklichem Layout unter die Kollegen und Kolleginnen zu bringen.

Die Diskussion über den 2. und 3.4. flammte an verschiedenen Stellen auf. Doch einigte man sich darauf, erst einmal die Organisierung durch das örtliche Bündnis gegen Sozial- und Bildungsraub und ihr Regionalkonferenz am 13.3. abzuwarten. Diesem hatte der DGB sogar eine der Auftaktveranstaltungen für den 3.4. übertragen. Festgehalten wurde in dieser Runde aber, dass man als Betriebs- und Gewerkschaftslinke den 2.4. für eigentlich wichtiger hält, und es darauf ankomme für diesen Tag auch betriebliche Aktionen ins Auge zu fassen. Zuerst heißt dies nach Möglichkeiten eine Sammlung von geplanten Aktionen für den lokalen Zusammenhang zur Verfügung zu stellen, damit Aktivisten und Betriebe ein Bild davon bekommen können, was hier real möglich ist. Darüber hinaus wurde angemerkt, dass es wichtig sei, gerade am 2.4. (aber natürlich auch am 3.4.) eine »Berliner Gewerkschaftslinke« auch als solche mit einem eigenen gewerkschaftspolitischen Profil sichtbar zu machen.Damit war die Diskussion über eine zukünftige Berliner Gewerkschaftslinke bereits sanft in den Vorwärtsgang übergewechselt.

Neben diesen ersten konkreten Zielstellungen machten strategische und methodische Begriffe wie der der »Sichtbarkeit« auch einen guten Teil der Diskussion aus. »Sichtbarkeit« einer »Berliner Gewerkschaftslinken« sollte eine »Erkennbarkeit« und eine »Wiedererkennbarkeit« meinen, die nur dann zu erreichen ist, wenn eine solche Struktur zumindest in einigen entscheidenden Bereichen ein übergreifendes gewerkschaftspolitsiches Profil ausarbeitet, aber auch nach außen mit Namen und Gesicht identifizierbar wird – also ein realer lokaler Akteur. Einer der weitestgehenden Beiträge des Abends nahm sich auf den ersten Blick dann auch eher unscheinbar aus: vorgeschlagen wurde ein Logo für eine solche Struktur (in Form eines roten Linksabiegerpfeils als Pendant zum alten grünen DDR-Linksabieger-Pfeil). Weitere Stichworte einer solchen methodisch-strategischen Ausrichtung fielen mit den Eingaben, dass eine Berliner Gewerkschaftslinke, sich auch vornehmen müsse, einzelne Erfolge zu organisieren und an einzelnen aber sichtbaren Punkten eine Offensive (bzw. entschlossene Abwehrkämpfe, die den Namen verdienen) zu organisieren. Das aber bedeutet, dass neben Vernetzung, Informationsaustausch und Koordinierung auch gemeinsam an exemplarischen Kampagnen und Projekten gearbeitet werden muss.

Der relative Stillstand der bisher namenlosen Berliner Gewerkschaftslinken scheint durch den Entschluss zu einer »Berliner Gewerkschaftslinken« jetzt zumindest angegangen zu werden. Gibt es auch noch viele Leerstellen – nicht zuletzt die immer ausgeklammerte Frage nach der konkreten Verankerung ihrer möglichen Politik in der betrieblichen Realität und Gewerkschaftsarbeit–, so gab es diesmal vor allem eines: einen kleinen gemeinsamen Ruck nach vorne. Angesichts vieler zurückliegender streitbarer Diskussionen und der Vielzahl anwesender Strömungen soll die Harmonie, die das Treffen durchzog einigen sogar unheimlich gewesen sein; vielleicht war diese aber auch nur das Zeichen dafür, das angesichts einer ernster werdenden Situation für Lohnabhängige und Erwerbslose in Berlin und darüberhinaus in gewerkschaftslinken Kreisen eine tolerante, konstruktive Ernsthaftigkeit Einzug gehalten hat. Vielleicht kann man sich angesichts der härter werdenden gesellschaftlichen Auseinanderstzungen im realexistierenden Netzwerk-Kapitalismus in einer ohnehin noch viel zu kleinen Gewerkschaftslinken heute erneut darüber verständigen, dass die eigentlichen Kontrahenten außerhalb der eigenen Reihen stehen – und diese sich über nichts mehr erfreuen können denn über zeitbindende aber folgenlose Treffen kritischer Gewerkschafter.

Als nächster Termin wurde der 16.3. vereinbart (19 Uhr im DGB-Haus, Keithstr. 1-3) und der Koordinierungskreis trifft sich erstmals am 3. März.
Dann werden alle sehen, wie es weitergeht mit dem 2. Gang dieses neuen Anlaufs...

Weitere Informationen und die Herstellung des Kontakts ist über die Homepage der Zeitung “berlin von unten” möglich: www.berlinvonunten.net

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