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Rainer Roth

Sozial- und Rentenpolitik der SPD-Grünen Bundesregierung

Warum kein Politikwechsel?

 

Die jetzige Bundesregierung wendet sich aggressiver gegen die Interessen der LohnarbeiterInnen als die vorherige. Politik"wechsel" bedeutet: Schröder legt noch einen drauf.

1) Die Rentenreform bezeichnet die AG Alternative Wirtschaftspolitik als "größte Beschädigung" des sozialen Zusammenhalts der Bundesrepublik seit ihrem Bestehen (FR 09.10.2000).
2) Unter den Stichwort 'Eigenverantwortung stärken' wird insgesamt die Sozialversicherung abgebaut. Ausfälle werden durch verstärkte private Vorsorge, sprich durch Senkung des Lebensstandards, ersetzt. "Rentenreform als Vorbild für die Krankenversicherung", fordert die Versicherungswirtschaft (FTD 27.10.2000).
3) Die Steuerrefom brachte die größten Gewinnsteuersenkungen aller Zeiten. Folge ist, daß die Einnahmeausfälle überall durch Kürzungen vor allem bei Arbeitslosen und Rentnern aufgefangen werden. In diesem Zusammenhang steht die Absicht, die Arbeitslosenhilfe abzuschaffen.
4) Der geplante Abbau der Staatsschulden wird mit Hilfe weiterer Haushaltskürzungen refinanziert.

 

Warum ist der erhoffte Politikwechsel so sang- und klanglos gestorben?

Kurz gesagt: die ökonomische Lage macht für das Kapital einen aggressiveren Kurs gegen die LohnarbeiterInnen notwendig und die Zusammenarbeit der DGB-Gewerkschaften mit der Regierung und dem Kapital macht diesen möglich.

Entscheidende Grundlage ist die Entwicklung der Renditen, der Profitraten. Rendite zu erzielen, ist der Lebenszweck der kapitalistischen Wirtschaft. Ihre Höhe reguliert die Tätigkeit des Kapitals und auch des Staates.

Die Profitraten waren in der Krise 1993 auf einen im Nachkriegsdeutschland historischen Tiefstand gefallen. Sie konnten sich erst 1997/1998 deutlich erholen, lagen aber immer noch unter dem Niveau der 80er Jahre, erst recht unter dem US-Niveau (vgl. Rainer Roth, Das Kartenhaus, Frankfurt 1999). 1999 jedoch sind die Profitraten der Kapitalgesellschaften nach Angaben der Bundesbank schon wieder gesunken (FR 26.10.2000).

Die Hauptsorge der Bundesregierung besteht deshalb darin, dazu beizutragen, die Renditen des Kapitals auf verschiedenen Wegen wieder zu erhöhen. Sie beruht auf der Grundeinstellung: wenn es dem Kapital gut geht, dann geht es allen gut, dem Staat wie auch den Arbeitnehmern. Sie hat eine reale Grundlage, denn tatsächlich hängen die Staatsfinanzen und das Lohnniveau von der Höhe der Profitraten ab. Gleichzeitig aber werden sowohl die Staatsfinanzen als auch der Lohnstandard der LohnarbeiterInnen langfristig durch die Entwicklung der Kapitalverwertung untergraben. Das Letztere ist das Wesentliche.
Die Bundesbank erklärt in ihrem letzten Monatsbericht offen, daß eine "dauerhaft angelegte, hohe Ertragskraft der Wirtschaft" durch die derzeitige Lohnpolitik und die Steuerreform gefördert wird.

 

Dem langfristigen Fall der Profitraten entgegenwirken

- durch Senkung der Lohnnebenkosten

Dem langfristigen Fall der Profitraten kann das Kapital mit der Senkung des Anteils der Löhne an der Wertschöpfung entgegenwirken. Deshalb ist es ein wichtiges Ziel auch der Bundesregierung, den Anstieg der Löhne und Lohnnebenkosten zu bremsen bzw. sie zu senken.

Über das Bündnis für Arbeit werden die Lohnkosten, bis jetzt erfolgreich, im Zaum gehalten. Die Senkung der Lohnnebenkosten erzwingt den Abbau aller Zweige der Sozialversicherung auf das Allernotwendigste. Die Bundesregierung versucht, dieses Bedürfnis z.B. mit Rentenkürzungen, mit der Ökosteuer, mit verstärktem Druck auf Arbeitslose, mit den Budgetierungen im Gesundheitswesen usw. zu befriedigen.

Die Interessen von Kapital, Staat und LohnarbeiterInnen an Senkung der Lohnnebenkosten scheinen zunächst zusammenzufallen. Das Kapital erhöht seine Profitraten. Der Staat senkt seine Zuschüsse zur Sozialversicherung. Die Nettolöhne der Beschäftigten steigen.

Aber: alle Einsparungen in der Sozialversicherung müssen letztlich mit wachsenden Eigenbeiträgen der Versicherten d.h. realen Lohnsenkungen ausgeglichen bzw. mit verschlechterten Leistungen bezahlt werden. Was LohnarbeiterInnen als Beschäftigte gewinnen, verlieren sie als Arbeitslose, als Rentner und als Kranke.

Senkung der Lohnnebenkosten, wie sie heute betrieben wird, bedeutet deshalb in Wirklichkeit für die LohnarbeiterInnen, daß faktisch ihre Lohnabzüge d.h. ihre "Lohnnebenkosten" steigen, daß also ihr Lohn gesenkt wird.

Senkung der Lohnnebenkosten kann nur insoweit ein gewerkschaftliches Ziel sein, als die Sozialversicherung durch Maßnahmen gegen die Interessen des Kapitals entlastet wird z.B. Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, Verbreiterung der Einnahmebasis der Rentenversicherung usw..

 

- durch Senkung der Gewinnsteuern

Die betrieblichen Profitraten können auch erhöht werden, indem der Staat den Anteil reduziert, den er in Form von direkten Steuern aus der Wertschöpfung zieht. Dadurch steigt der den Unternehmen verbleibende Nettoprofit. Dieses Bedürfnis wird vor allem durch Gewinnsteuersenkungen befriedigt.

Daß die SPD-Grüne Regierung die Gewinnsteuersenkungen und die Angriffe auf die Sozialversicherung erheblich über die Absichten der früheren Regierung hinaus ausdehnt, ist durch gestiegenen Druck zu erklären, unter dem die Profitraten stehen.

 

Worin besteht der aktuelle Druck auf die Profitraten?

Die Profitraten stehen gerade wegen der enormen Steigerung der Produktivität unter Druck, mit der das Kapital sich aus der Krise 1993 rettete.

* Die Produktivität pro Beschäftigtem in Bergbau und verarbeitender Industrie explodierte in Westdeutschland von 1993 bis 1999 um 35%, pro ArbeiterIn noch mehr. Das bedeutet: eine Million weniger Menschen, die Gewinne erarbeiten können.

* Die Arbeitslosigkeit, die ja letztlich auch aus der Wertschöpfung finanziert wird, ist heute noch höher ist als im Krisenjahr 1993. Überstunden, Arbeitszeitverlängerungen und flexiblere Nutzung der Arbeitskräfte halten die Arbeitslosigkeit hoch. Den bestehenden Produktionsapparat mit dem bestehenden Arbeitskräftepotential besser auszunutzen ist für das Kapital rentabler als Neueinstellungen, für die man investieren müßte.
Dem durch die erhöhte Produktivität gestiegenen Warenausstoß steht aber eine Massenkaufkraft gegenüber, die aufgrund des Drucks der Arbeitslosigkeit auf die Löhne nahezu stagniert. 1999 ist die Nettolohn- und gehaltssumme etwa so hoch wie im Krisenjahr 1993. Nur die Sozialleistungen haben zugenommen, weil die Zahl der Arbeitslosen und der Rentner zugenommen hat. Latente Überproduktion von Waren und die vom Interesse an Erhöhung der Profitraten produzierte Beschränkung der Massenkaufkraft führen dazu, daß die Preiskonkurrenz zunimmt und die erarbeiteten Profite in geringerem Umfang über den Preis realisiert werden können.

* Andererseits erfordert die Revolution der Informationstechnologie Milliarden an Investitionen auch in Deutschland. Jede Investition aber erhöht den Umfang des Kapitals, auf das die Gewinne bezogen werden müssen und drückt damit auf die Profitraten.

* Das Kapital produziert Arbeitslosigkeit und gleichzeitig auch einen gewaltigen Kapitalüberschuß. Die Verwalter des Kapitalüberschusses wollen Aktienkurssteigerungen, hohe Unternehmenswerte und entsprechende Profite. Das übt zusätzlich Druck auf die industriellen Profitraten aus.
Sie wollen auch, daß immer mehr frisches Geld, gespeist aus den Löhnen, in Finanzanlagen fließt. Das übt Druck auf die Sozialversicherung aus, die nach den Plänen der Finanzkonzerne mehr und mehr in eine kapitalgedeckte Privatversicherung umgewandelt werden soll. Auch dieses Bedürfnis befriedigt die jetzige Regierung, mit der Steuerreform (Steuersenkungen - Profitsteigerungen - höhere Aktienerträge) und mit Schritten zur Verlagerung der Renten auf die kapitalgedeckten Versicherungskonzerne.
Die Produktivitätsentwicklung im engen Korsett der Kapitalverwertung untergräbt nicht nur die Profitraten, sondern auch die Sozialversicherung und die Staatsfinanzen insgesamt.

LohnarbeiterInnen haben objektiv kein Interesse, zugunsten von Profitraten zu verzichten, weder bei Löhnen, noch bei Lohn"nebenkosten" d.h. der Sozialversicherung, noch bei Staatsausgaben. Ob die Rendite 5% beträgt oder 10%, kann ihnen wurscht sein. Dem Kapital aber und allen, die ihr Schicksal von der Förderung seines Wohlergehens abhängig machen, sind die Prozentsätze der Kapitalverwertung alles andere als wurscht. Sie sind ein Selbstzweck, dem sich alles unterordnen soll.

 

Rentenversicherung

Hier liegt z.Zt. die Hauptaufmerksamkeit des Kapitals. Grund ist einfach der, daß die Beiträge hier am meisten gestiegen sind (von 1993: 17,5% auf 20,3% im Jahre 1998). Das bedeutete für das Kapital Gewinneinbußen von rd. 25 Mrd. DM jährlich.

Andererseits sind die Zahlungen des Bundes an die Rentenversicherung von 50 Mrd. DM im Jahre 1993 auf weit über 100 Mrd. DM im Jahre 1999 gestiegen. Hauptgrund scheint zu sein, daß die Zahl der Rentnerinnen und Rentner in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten in diesem Zeitraum um etwa 2,5 Mio. stieg, die Zahl der Beitragszahler aber 1,4 Mio. abnahm (Quelle: Statistisches Taschenbuch 1999).

Es ist das Kapital selbst, daß die Krise der Rentenversicherung erzeugt.

Arbeitslosigkeit d.h. die Stillegung von menschlichen Produktivkräften, führt zu relativ geringeren Beitragseinnahmen und höheren Ausgaben. Lohnsenkungen und der massive Ausbau prekärer Beschäftigungsverhältnisse verringern, relativ zur Beschäftigtenzahl, die Einnahmen.

Seit Anfang der 70er Jahre, seit die Gesetze der Kapitalverwertung die Periode des starken ökonomischen Wachstums nach dem 2. Weltkrieg beendeten, verringert sich die deutsche Bevölkerung. Es sterben mehr Menschen als geboren werden. Die Lebensbedingungen für Familien und Kinder sind im Verhältnis zu den veränderten Bedürfnissen zu schlecht (gestiegener Arbeitsstreß, stagnierende bzw. sogar sinkende Reallöhne, wachsende Erwerbstätigkeit der Frauen usw.). Für das Kapital sind Kinder Kostenfaktoren, in die möglichst wenig hineingesteckt werden soll, weder im Schulwesen, noch in Kindergärten, vor allem aber nicht in Form ausreichender Löhne, die die Reproduktionskosten decken. Kinder kosten eben vom Standpunkt des Kapitals nur Geld und bringen nichts ein.

All das untergräbt ebenfalls die Reproduktion der Bevölkerung und damit auch die Produktivkräfte. Diese Entwicklung drückt sich in Überalterung aus.

Wenn die Zahl der alten Menschen steigt, muß ein größerer Teil der Wertschöpfung für ihren Lebensunterhalt aufgebracht werden. Diese Ausgaben für "unproduktive" Menschen auf das notwendigste zu beschränken, liegt im Interesse des Kapitals und seiner Profitraten. Aus dem absolut gestiegenen gesamtwirtschaftlichen Überschuß wären auch die Renten locker zu finanzieren. Der Überschuß aber steht unter dem Zwangsgesetz der Profitraten. Es geht nicht in erster Linie darum, mit Hilfe des Überschusses die notwendigen Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen, sondern die notwendigen Prozentsätze der Profitraten zu sichern.

Die Sonderinteressen des Kapitals untergraben die Rentenversicherung ferner, weil die privaten Versicherungskonzerne den Wirkungsbereich der Rentenversicherung und damit die Basis ihrer Einnahmen einengen. Umgekehrt ist unser Interesse: Alle Lohnabhängigen, unabhängig von ihrem Verdienst, müssen pflichtversichert sein. Auch die Selbständigen müssen einbezogen werden. Nicht die Sozialversicherung muß demontiert werden, sondern die private Versicherungswirtschaft.

Auch die Betriebsrenten untergraben die Sozialversicherung. Über die betrieblichen Fonds eignen sich die Betriebe Lohnbestandteile als billiges Kapital an. Das Sonderinteresse des Kapital führt auch einem Sonderinteresse von Betriebsbelegschaften. Betriebsrenten stellen schon lange eine Teilprivatisierung der Renten dar. Sie stehen dem Allgemeininteresse aller LohnarbeiterInnen entgegen.

Betriebsrenten müssen zugunsten der Sozialversicherung abgebaut, nicht ausgebaut werden, wie Zwickel es gemeinsam mit den Arbeitgeberverbänden empfiehlt.

Die Bundesregierung hat ihre Absicht aufgegeben, eine Grundrente für RentnerInnen und Rentner einzuführen d.h. geringe Renten automatisch auf Sozialhilfeniveau aufzustocken. Dieser Fortschritt entsprach nicht dem Interesse der Versicherungskonzerne. Sie wollen nicht, daß man unabhängig von privater Vorsorge eine Mindestrente bekommt. "Wer uns kein Geld für unsere Rentenprodukte gibt, der wird im Alter in Armut leben", das ist die Botschaft der Versicherungskonzerne und der Bundesregierung.

Wir fordern nachwievor, daß eine Mindestrente als Grundsicherung einführt wird und zwar ohne Unterhaltspflicht der Kinder.

 

Arbeitslosigkeit

Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung ist 1993 leicht angehoben worden und seither gleichgeblieben. Die Zuschüsse des Bundes fielen von rd. 24 Mrd. DM im Jahre 1993 auf 7,5 Mrd. im Jahre 1999. Das alles war nur mit Kürzungen bei den Arbeitslosen möglich.
Die Reduzierung des Lebensstandards von Arbeitslosen, die wachsenden Lohnzuschüsse und der steigende Druck auf Arbeitslose, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, auch wenn man vom Lohn nicht leben kann, erzeugen direkt einen Druck auf Lohnsenkungen und beeinflussen darüber die Profitraten.
Senkung der Lohnnebenkosten als Ziel bedeutet in diesem Bereich, daß die beschäftigten LohnarbeiterInnen gegen die unbeschäftigten mobilisiert werden. Höhere Nettolöhne durch sinkende Beiträgen wird mit Kürzungen für Arbeitslose erkauft. Umgekehrt werden Arbeitslose genutzt, um bestehende Tarife zu unterbieten. Das alles zu unterstützen, kann kein Ziel von Gewerkschaften sein, die diesen Namen verdienen.

Die Dauer der Arbeitslosigkeit hat seit 1993 stark zugenommen. Deshalb hat sich die Zahl der BezieherInnen von Arbeitslosenhilfe gegenüber 1993 fast verdoppelt. Arbeitslosenhilfe wird vom Bund bezahlt. Die Ausgaben des Bundes dafür stiegen von 7,2 Mrd. DM auf dem Höhepunkt des Aufschwungs 1991 auf weit über 30 Mrd. DM im jetzigen Aufschwung.

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe zugunsten der schlechteren Sozialhilfe ist deswegen ein wichtiges Ziel des Kapitals und seiner Bundesregierung. Ziel ebenfalls: Druck auf die Löhne verstärken und die Staatsfinanzen für Gewinnsteuersenkungen und - so muß man hinzufügen - den Schuldendienst freischaufeln.
Die Beseitigung der Arbeitslosenhilfe zugunsten der Sozialhilfe zu verhindern, ist ein wichtiges Ziel.
Es gibt zwar die Notwendigkeit, daß nur eine Behörde für Arbeitslose zuständig ist, um Bürokratismus abzubauen. Eine Zuständigkeit ja, aber nicht die des Sozialamts.

Arbeitslosenhilfe muß automatisch auf Sozialhilfeniveau aufgestockt werden, wenn sie zu niedrig ist.

 

Steuerreform

Der Grundfreibetrag soll bis 2005 auf rd. 15.000 DM angehoben werden. Das hört sich sozial an. Aber nachwievor wird das Existenzminimum besteuert. Das lag schon Mitte der 90er Jahre bei mindestens 18.000 DM. Steuerliche Ausplünderung der LohnarbeiterInnen, nicht steuerliche Entlastung ist das wesentliche. Besteuerung des Existenzminimums bedeutet, daß LohnarbeiterInnen mtl. rd. 100 DM zu viel Steuern zahlen.
Das Existenzminimum wird besteuert, damit z.B. der Körperschaftssteuersatz von 45% auf 25% gesenkt werden kann, um die Nettoprofitraten zu steigern. Die Steuerreform zeigt deutlich, in wessen Interesse die Bundesregierung regiert.
Selbst eine Senkung der Lohnsteuern liegt bis zu einem gewissen Grad im Interesse des Kapitals, da es dann wenigstens die Möglichkeit hat, den Anstieg der Bruttolöhne, aus denen die Lohnsteuern bezahlt werden, zu reduzieren. Vielleicht sogar, diese zu senken.

 

Zwei Dinge zum Schluß:

a) Alle Berechnungen über das Rentenniveau im Jahre 2030, den Schuldenabbau ab dem Jahre 2005 oder die Reduzierung der Arbeitslosenzahlen, gehen von der blödsinnigen Annahme aus, daß es in Zukunft keine Wirtschaftskrisen mehr gibt.

Jeder Aufschwung, jede Investition, jede Produktivitätssteigerung treibt jedoch die Produktion über die beschränkte Massenkaufkraft hinaus. Die Überproduktion von Waren entlädt sich in der Vernichtung von Kapital und in höherer Arbeitslosigkeit als zuvor. Und die Überproduktion von Kapital entlädt sich in Börsencrashs.
Der Konjunkturzyklus kann verlängert werden durch die technologische Revolution, durch den Aktienboom und die ausufernde Verschuldung des Staates, der Unternehmen und der Konsumenten. Aber alle diese Faktoren können ihn nicht beseitigen.

Nicht soziale Sicherheit ist das Wesensmerkmal des Kapitalismus, sondern soziale Unsicherheit. Und diese wächst langfristig. Armut von beschäftigten LohnarbeiterInnen, Armut im Alter und Armut von Arbeitslosen nehmen langfristig zu, begleitet von wachsendem Reichtum des Kapitals.

Ein Grund mehr, nicht mit dem Bündnis für Arbeit den Bock des Kapitals zu unserem Gärtner zu machen. Ein Grund mehr, daß die LohnarbeiterInnen ihre Interessen selbständig gegen das Kapital vertreten. Aus dem Bündnis für Arbeit auszutreten, ist notwendig.

b) Was Kohl, Blüm und Waigel nicht gewagt haben, packen Schröder, Riester und Eichel an.
Die SPD-Grünen Bundesregierung schlägt zum Nachteil der LohnarbeiterInnen aus, da sie über die Spitzen der DGB-Gewerkschaften auch den Widerstand gegen die Politik des Kapitals noch in erheblichem Maße lähmen kann. Von daher sind die Chancen für das Kapital, seine Interessen gegen uns umzusetzen, unter dieser Regierung größer als unter der vorherigen.

Angesichts der aggressiven Rentenkürzungen, angesichts der Pläne, die Arbeitslosenhilfe abzuschaffen, angesichts der Folgen, die die massiven Gewinnsteuersenkungen für Sozial- und Bildungsausgaben haben, wäre eine Massendemonstration wie 1996 fällig.

Diesmal allerdings in Berlin. Es ist eine Schande, daß der DGB nichts davon vorbereitet und die IG Metall nur ein paar Kleinveranstaltungen zum Dampfablassen organisiert. Noch ist die Sache nicht gegessen. Was geschieht, hängt auch von uns ab.

 

Rede von Rainer Roth, gehalten auf dem Eröffnungspodium des 3. bundesweiten Kongresses der Vernetzungsinitiative der Gewerkschaftslinken in Frankfurt am 27./28. Oktober 2000


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