Kommentar zu zwei Neuigkeiten bei Labournet: Gewerkschaft müssen Gegenmacht werden und eine neue Forderung nach anderer Politik, höchst prominent unterschrieben, die wohl auch ein bißchen auf das Stuttgarter Treffen zielt... nä? Ziemlich kurz dazu, Papier gibt es sowieso schon tonnenweise: Ausreichend, um den Kapitalismus totzuwerfen.
1.Die Kollegen Riexinger und Bachmann schulden uns ihre praktischen Schlußfolgerungen, der Kollege Schäfer von der "Gegenmacht" einen neuen Gedanken und die prominenten (ver.di-lastigen) Unterzeichner einen Hauch anderer Politik. Denn mit Memorandum samt Popularisierungen ist es wie mit Kohls Ansprachen: Es geht auch die vom letzten Jahr - merkt eh niemand.
2.Wie wäre es denn damit: Gewerkschaften müssen soziale Bewegung werden. Auch der einzige Weg zur Gegenmacht, meiner bescheidenen Meinung nach. Nicht im Kampf für Lohnerhöhung der Panzerbauer radikal sein. Auch nicht Kohle statt Solarenergie pushen. Und nicht unter dem Gelächter der Weltvölker Bill Gates hinterher rennen, sondern fragen: wer baut den Bürgersteig zur Datenautobahn? Da gäbe es sinnvolle Arbeit. Und ... und...
3.Das hieße aber auch: Gewerkschaften demokratisieren geht viel weiter als Mehrheiten für Entscheidungen zu fordern und weniger Geld für Entscheider. Finde ich ja voll OK, aber bescheiden. Keinen ersten Aufgeblasenen am Ort oder allmächtigen Sekretär (ganz selten: -in) , sondern 439 Bevollmächtigte oder so. Spielraum (= auch $) für Experimente sichern. Auch nicht: Es soll wieder werden, wie früher - der BR Fürst pfeift, und dann steht die Chose still: "Heer der Arbeit aufgewacht" - nein, Danke. Für all jene kritischen GewerkschafterInnen (natürlich), denen das Gesicht einfriert, wenn sie "Bürokratie" hören (beileibe nicht, wenn sie sie erleben, leben) wäre das auch noch eine Roßkur.
4.Das hieße weiterhin: Keine falschen Debatten um Modernisierung. Ich finde es voll OK, wenn Gewerkschaften ihrer Mitgliedschaft auch Vorteile anbieten. Es muß ja nicht gleich Sörvis heißen. Sinn wäre besser. Versicherungen? Wenn sie besser sind. Kapitallebensversicherungen für Freie sind, auch gewerkschaftlich empfohlen: Beschiß. Reisebüros? Hat Thomas Cook 1834 erfunden, sterben demnächst wg. Internet aus. Handys? Wenn sie eines anbieten, das Sätze zensiert wie "komme später", "was gibts heute zu essen" etc pp. Vor allem im Zug. "Anders reisen" - müßte mal durchgedacht werden...
5.Heißt aber vor allem: Fragen und Probleme konkret angehen und nicht die ewig gleichen, auch schon hundert Mal gescheiterten Alternativen runterbeten.
6.Heißt schließlich
auch: Nicht (allzu) spießig bleiben vor lauter Arbeitsgeschrei. Arbeitslosigkeit
schafft Kriminalität? Billigarbeit auch. Und umgekehrt: Kriminalität
schafft Arbeitsplätze. Und bitte, Leute: Wenn ein Multi für eine CD
35 Eier haben will, klaut auch ein ganzundgarnichtarbeitsloser Azubi - zu Recht.
Arbeitslosigkeit schafft Drogenmißbrauch? Ich weiß nur soviel: 80%
aller User in USA sind weiße, beschäftigte Mittelklasse (nur im Knast
ist es andersrum).
Arbeitslosigkeit erzeugt Sinnkrisen? Ja. Fast so viele wie Arbeit. Weil: Saumäßig
erfüllend, Prospekte zu drucken. Oder Kriegspropaganda zu schreiben. Oder...
7.Abschließend: Vielleicht sollten wir statt der nächsten platten Form uns zunächst darauf beschränken, den Vorrat an Gemeinsamkeiten auszuloten und Aktionsmöglichkeiten zu suchen. Eine so zentrale Sache wie die Arbeitszeitverkürzung wirklich gründlich, tiefgehend und in aller Ruhe auswerten und analysieren - um zu sehen, was sich aufbauen läßt. Das Bündnis für Arbeit und Fetterwerb brauchen wir nicht zu diskutieren: Schamgrenze. Vielleicht sollten verdianische VorsängerInnen sich der Debatte stellen, ob eine andere Politik heißen muß: Oskar komm wieder. Seltsam: immer dann, wenn sich was tut, kommt eine regierungslinke Plattform daher (woher??), an der sich alles, was autoritätshörig ist, erfreuen kann. So sehr, daß gleich mit unterschrieben wird. Finales Angebot an Autogrammsammler: tausche einen Subcomandante gegen 6 deutsche Gewerkschaftsvorsitzende, von mir aus auch gegen 12.