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Ergebnis und Verlauf der diesjährigen Tarifrunden haben bei Teilen der aktiven KollegInnen und der Mitglieder Unzufriedenheit und Kritik hervorgerufen. Wir teilen diese Kritik und wir befürchten, dass die durch die Einbindung der Gewerkschaften in das "Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit" beförderte defensive Tarifpolitik die Gewerkschaften nur noch tiefer in die Krise führt, Ansehens- und Mitgliederverluste weiter zunehmen. Wir halten es für wichtig, dass die Tarifrunden 2000 in der Mitgliedschaft und bei den Aktiven diskutiert und ausgewertet werden. Darin liegt auch die Chance, eine Kursänderung vorzunehmen und andere Perspektiven für die zukünftige Tarifpolitik zu entwickeln. Mit diesem Positionspapier wollen wir unsere Kritik auf den Punkt bringen und erste Alternativen andeuten.
Der Verteilungsspielraum, der in diesem Jahr bei 5 Prozent liegt und nächstes Jahr eher größer sein wird, wurde mit Abschlüssen in diesem Jahr zwischen 2 und 3 Prozent und im nächsten zwischen 2 und 2,8 Prozent bei weitem nicht ausgeschöpft. Bei ansteigender Konjunktur und je nach Entwicklung der Preissteigerungsrate können einige der Abschlüsse in 2001 sogar Reallohnverlust bedeuten. Bereits bei der Aufstellung der Forderungen wurde auf eine Umverteilungsquote verzichtet. Die im Bündnis - ohne innergewerkschaftliche Diskussion - definierte, nur an der Produktivität orientierte "Lohnformel" kam unausgesprochen zum Tragen. Damit sinkt die Lohnquote weiter, die ohnehin auf ihrem tiefsten Punkt seit Ende der 50er Jahre angekommen ist. Die Umverteilung zu Gunsten der Kapitalbesitzer und Vermögenden geht uneingeschränkt weiter. Sie ernten alleine die Früchte des Konjunkturaufschwungs. Die in Global Players Beschäftigten müssen z.B. die Erfahrung machen, dass das Management mit Kapitalrenditen zwischen 12 und 20 Prozent plant, während sie sich mit 2-3 Prozent abspeisen lassen müssen. Da sich die Lohn- und Gehaltsabschlüsse an den Empfehlungen des "Bündnisses für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit" orientieren, wird den Mitgliedern und der Öffentlichkeit suggeriert, dass niedrige Tariferhöhungen - entgegen besserem Wissen - Arbeitsplätze schaffen und den Konjunkturaufschwung stabilisieren würden. Das Gegenteil ist der Fall; wie schon in der Kohl Ära eilt die Wirtschaft von Exportrekord zu Exportrekord. Was dagegen nach wie vor fehlt, ist die Belebung der Binnennachfrage, da die Masseneinkommen ungebrochen stagnieren.
Inzwischen hat auch das wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Institut des DGB (WSI), leider erst nach den meisten Tarifabschlüssen, festgestellt, dass die Gewerkschaften mit ihren Abschlüssen unterhalb des Verteilungsspielraumes geblieben sind.
Obwohl der europäische Metallarbeiterverband auf Initiative der IGM beschlossen hatte, dass kein Land unterhalb des Verteilungsspielraumes abschließen soll, um lohnkosten-politische Absenkungswettläufe zu verhindern, hielt sich die IGM selbst nicht an diesen Beschluss. Während in den meisten europäischen Ländern - in Norwegen z.B. mit einer imponierenden Streikbewegung - höhere Abschlüsse getätigt wurden, haben sich die deutschen Gewerkschaften (mit wenigen Ausnahmen) den Vorgaben des "Bündnisses für Arbeit" untergeordnet. Das bedeutet, dass sie ihre Politik an der Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen ausrichten. Tatsache ist, dass Deutschland bei der Entwicklung der Lohnstückkosten die zweifelhafte Ehre des Dumpingweltmeisters gebührt. In keinem anderen Industrieland klaffen derart große Lücken zwischen der tatsächlichen Entwicklung der Lohneinkommen und den durch Preise und Produktivität gesetzten Verteilungsmargen. Folglich weist auch keine andere kapitalistische Metropole einen derartigen Verfall der Lohnquote auf wie Deutschland.
Internationale Solidarität wird so durch Wettbewerbskorporatismus unterhöhlt. Ein schwerwiegender Fehler, denn uns allen ist klar, dass die Zukunft der Gewerkschaftsbewegung wesentlich davon abhängt, ob es uns gelingt, die internationale Zusammenarbeit und Solidarität auszubauen. Die Neudefinition produktivitätsorientierter Entgeltpolitik droht die lohnpolitisch mit getragene "beggar-my-neighbour-policy" (in etwa: "mach nicht mich, sondern meinen Nachbarn arm") fortzusetzen. Eine auf europäischer Ebene aktionsfähige Gewerkschaftsbewegung wird dadurch zerstört, nicht geschaffen.
Das häufig erfolgreiche Prinzip, nach dem die kampfstarken Gewerkschaften (vor allem die IGM) mit gutem Beispiel vorangehen und die anderen Gewerkschaften sich im "Geleitzug" an deren Forderungen anschließen, hat in diesem Jahr 'unter verkehrten Vorzeichen' dazu geführt, dass die Marge nach unten gesetzt wurde. Die kampfstarken Gewerkschaften haben ihre Mobilisierungsfähigkeit nicht genutzt und aus Rücksicht auf das "Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit" nicht nutzen wollen. Damit wurden Spielräume für eine nachholende Lohnpolitik in den Niedriglohnbranchen verengt. Sprich: Wenn schon die starke IGM in einer boomenden Branche 3 Prozent im ersten und 2,1 Prozent im zweiten Jahren abschließt, wird die vergleichsweise schwächere hbv im wirtschaftlich stagnierenden Einzelhandel kaum darüber hinaus kommen. Die ohnehin auch durch die rein linearen Abschlüsse der letzten Jahre begünstigte große Lohndrift wächst weiter, und immer größere Teile der Beschäftigten gleiten in den Niedriglohnbereich ab. In diesem Zusammenhang muss auch betont werden, dass die als Reformkonzept propagierte "Rente mit 60" oder auch die dann tarifpolitisch vereinbarte Arbeitszeit für Gewerkschaften mit hohem Frauen- und Teilzeitanteil und relativ niedrigen Tariflöhnen eine zweifelhafte Perspektive ist.
Das alles soll keinesfalls von Versäumnissen und gravierenden Fehlern der anderen Gewerkschaften ablenken, wie dem desaströsen Abschluss der ÖTV oder dem Einbau von Gehaltsbestandteilen für private Altersvorsorge bei der hbv in NRW oder Hamburg. Auch diese Tarifpolitik muss der Kritik unterzogen werden, weil sie praktisch in vorauseilendem Gehorsam die Riesterschen Rentenpläne sanktioniert und den notwendigen Widerstand dagegen erschwert.
Noch in der Nacht des Tarifabschlusses in der nordrhein-westfälischen Metallindustrie mussten geplante Warnstreiks von der IGM in Baden-Württemberg abgesagt werden. Die Warnstreikbewegungen der letzten Jahre haben schon bewiesen, dass die Streikbereitschaft in großen Teilen der Mitgliedschaft hoch ist. Diese hat Klaus Zwickels Slogan vom "Ende der Bescheidenheit" durchaus erst genommen. Das Urabstimmungsergebnis in der ÖTV, das in der Öffentlichkeit als Ausdruck geringer Streikbereitschaft interpretiert wurde, ist beachtlich. Eine Zustimmungsquote für Streik von 76 Prozent bei einer flächendeckenden, in kürzester Zeit aus dem Boden gestampften Urabstimmung muss erst einmal erreicht werden - zumal der ÖTV Vorsitzende Herbert Mai sich in der Tagespresse gegen einen Streik ausgesprochen hatte. Dass diese Streikbereitschaft nicht genutzt wurde, um ein besseres Ergebnis zu erzielen, sondern Spitzengespräche aufgenommen wurden, obwohl Schily erklärt hatte, dass die Arbeitgeber kein besseres Angebot vorlegen würden, wird im schlimmsten Fall die Resignation unter den Mitgliedern verstärken.
Auch die auf zwei Jahre verlängerte Laufzeit vieler Tarifverträge - bei der ÖTV sind es gar 31 Monate - wird nicht zur Stärkung der Mobilisierungskraft beitragen.
Wir erleben in den letzten Jahren, dass innergewerkschaftliche Diskussion, die Beteiligung der Mitglieder und selbst der Aktiven durch "Telepolitik" ersetzt wird. Das Verkünden und Propagieren von Botschaften, Empfehlungen und Vorgehensweisen über die Massenmedien zersetzt die innergewerkschaftliche Demokratie und läuft Gefahr, eine Politik zu formulieren, die an den Interessen der Mitglieder vorbeigeht. Dies entspricht den Vorstellungen der wissenschaftlichen Apologeten des "Bündnisses für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit", die den Gewerkschaftsführungen empfehlen, ihr Verhältnis zu den Mitgliedern neu zu definieren. Statt in konfliktreichen Auseinandersetzungen die Interessen der Mitglieder wahrzunehmen und durchzusetzen, sollen sie die im Bündnis ausgehandelten Kompromisse ihrer Basis vermitteln und nahebringen. Die Mitglieder und Aktiven werden so immer mehr in eine Objektrolle hineingedrängt.
Die Verlängerung der Laufzeiten vieler Manteltarifverträge hat die Forderung nach Wochenarbeitszeitverkürzung von der Tagesordnung gestrichen. Die Koppelung der Kündigungsfristen von Altersteilzeit und MTV bei der IGM erschwert eine offensive Arbeitszeitpolitik und läuft Gefahr, dass das Kapital Ältere und Jüngere gegeneinander ausspielen wird. Der Preis, die Verschlechterungen der Sozialpolitik (z.B. Verlängerung des Rentenalters) durch Tarifpolitik auszugleichen, ist zu hoch. Die Fortsetzung dieses Ansatzes müssen wir kritisch diskutieren.
"Modernisierungsansätze", die in verschärfter Form kollektive und solidarische Zusammenhänge zerstören, wollen und müssen wir verhindern. Dazu gehört der Vorschlag des jetzigen Arbeits- und Sozialministers von NRW und ehemaligen IGM-Bezirksleiters, Harald Schartau, der über dpa verlauten ließ: "Der Tarifvertrag werde künftig nur noch das Grundentgelt festlegen und einen Rahmen für die erfolgsabhängigen Verdienstbestandteile vorgeben." In eine ähnliche Richtung geht die Aussage von Klaus Zwickel, dass ein neues Verhältnis zur Frage des Aktienbesitzes gesucht und die Beteiligung der ArbeitnehmerInnen am Produktivvermögen über die Ausgabe von Stock-Options angestrebt werden soll, ebenso wie die empörenden Worte unseres DGB-Vorsitzenden zur 50-Stunden-Woche.
Diese Ansätze tragen zur Zersetzung kollektiver und solidarischer Politik bei und vollziehen die Spaltungs- und Differenzierungversuche der neoliberalen Politik nach.
Ergebnis und Verlauf der diesjährigen Tarifauseinandersetzungen haben eine neue Qualität und Dimension von Konzessionspolitik erreicht (wenn es auch Ausnahmen gibt). Die Einbindung in das Bündnis hat diese Politik befördert. Sie wird die Krise der Gewerkschaften politisch durch den Verlust an Autonomie, ideologisch durch das Eindringen neoliberaler Versatzstücke und organisatorisch durch weiteren Mitgliederverlust und ein "Verspielen" der Kampfkraft verschärfen. Inzwischen wird, u.a. durch die Vorfälle in der ÖTV, deutlich, dass wir es zudem noch mit einer Führungskrise zu tun haben. Erhebliche Teile der Führungen haben sich offensichtlich verselbständigt und entfernen sich immer mehr von den Erfahrungen der KollegInnen und den Zielen und Vorstellungen vieler Aktiver.
Wir wollen in unseren Gewerkschaften eine breite Diskussion über die künftige Tarifpolitik beginnen. Als Beitrag zur Diskussion wollen wir im Herbst eine tarifpolitische Plattform der Gewerkschaftslinken vorlegen. Einige Kernpunkte für die Tarifpolitik wollen wir zum Schluss dieser Überlegungen kurz aufführen:
15 Jahre neoliberaler Politik haben Spuren in den Gewerkschaften hinterlassen. Neoliberale Versatzstücke sind in das Denken vieler GewerkschafterInnen eingedrungen. Davon müssen wir uns lösen, wenn wir in Zukunft als Gewerkschaften noch eine Bedeutung haben wollen. Eine Voraussetzung für eine andere Politik ist, dass die Gewerkschaften aus dem Bündnis für Arbeit herausgehen. Das allein reicht jedoch nicht aus. Es ist dringend notwendig, eine Richtungsänderung der Gewerkschaftspolitik zu erreichen. Die Tarifpolitik, als Kernelement der Gewerkschaftspolitik, muss dabei den Anfang machen.
Heinz-Günter Lang, Postfach 1201, Tannenburgstraße 17
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