Seit Jahren erleben die (noch) Beschäftigten, die Arbeitslosen, die Sozialhilfeempfänger und die Rentner was es heißt, unter den Bedingungen des Neoliberalismus und der "Globalisierung der Märkte" zu leben: Statt den Menschen eine würdige Existenz und soziale Sicherheit zu gewährleisten, die Umwelt zu schonen und die Kriegsgefahr zu mindern, tendiert der Kapitalismus dazu, die Lebensbedingungen der lohnabhängigen Bevölkerung zu untergraben. Ganz offensichtlich ist dies nämlich die wesentliche Voraussetzung, um die Kapitaleigner noch reicher zu machen.
Auch unter der SPD-Grünen-Regierung ist kein Wandel eingetreten. Im
Gegenteil: In manchen Bereichen treibt die Schröder-Regierung den Sozialabbau
noch frecher voran, in der Erwartung, daß die Gewerkschaftsführungen
viel länger still halten werden als unter der Kohl-Regierung.
Für uns aber waren die Proteste der Jahre '96 - '98 keine Wahlkampfhilfe
für SPD und Grüne, sondern erste Schritte zum Aufbau einer aktiven
Abwehrfront gegen den Sozialabbau und die Politik des Neoliberalismus. Diese
Aufgabenstellung hat sich in keiner Weise geändert. Nur wird sie jetzt
immer dringlicher, was z. B. der Angriffskrieg gegen Jugoslawien und die
fortgesetzte Politik des antisozialen Kahlschlags klar offenbart haben.
Die Rücksichtnahme der Gewerkschaftsführungen auf die SPD hat
viel mit blinder Loyalität und mit der Akzeptanz der "Standortpolitik"
zu tun. Blinde Loyalität deswegen, weil allen Gewerkschaftsvorständen
klar sein muß, daß die Untätigkeit - d. h. die widerstandslose
Hinnahme der Kriegs- und "Sparpolitik" - nicht nur die Glaubwürdigkeit
der Gewerkschaften weiter massiv unterhöhlen wird. Der Mitgliederverlust
droht sich zu beschleunigen und die Gewerkschaften in ihrem Bestand und
vor allem in ihrer Handlungsfähigkeit in Frage zu stellen.
Akzeptanz der Standortpolitik heißt letztendlich die Logik der Kapitalkonkurrenz
widerstandslos zu übernehmen und zu hoffen, daß die KollegInnen
in anderen Ländern die Verlierer sind, so daß das deutsche Kapital
sich ausdehnen kann und hier keine weiteren großen Beschäftigungseinbrüche
erfolgen. Ziel der "Standortpolitiker" unter den Gewerkschaftern ist der
krampfhafte Versuch, jeglichen Kampf um Arbeitsplätze zu vermeiden.
Wir halten es für absurd, mit den Profiteuren des Arbeitsplatz- und
Sozialabbaus ein "Bündnis für Arbeit" schließen zu können.
Schon der Zusatz "Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit" zeigt,
wer hier wen vor seinen Karren gespannt hat. Nicht die Interessen der Lohnabhängigen
werden hier vertreten, sondern die Konkurrenzinteressen des hiesigen Kapitals
und die Interessen der Regierung (z. B. bei der "Verschlankung" des Staates
und des Öffentlichen Dienstes).
Wenn andere gesellschaftliche Bedingungen durchgesetzt werden sollen, ja
wenn wir nur wirkliche Reallohnerhöhungen erreichen wollen - ob in
der Industrie, im Handel, im Öffentlichen Dienst oder sonstwo - dann
geht dies nur gegen den massiven Widerstand von Unternehmern und Regierung.
Und wenn wir die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich
durchsetzen wollen, dann wird dies zu noch härteren Auseinandersetzungen
führen. Diesen Herausforderungen dürfen die Gewerkschaften nicht
ausweichen. Im Gegenteil, je mehr diese Kämpfe heute vermieden werden,
um so schwieriger werden die Bedingungen. "Wer heute nicht teilt den Kampf
wird morgen teilen die Niederlage."
Um diese Auseinandersetzungen vorbereiten und bestehen zu können, bedarf es einer weitreichenden Umorientierung der Gewerkschaften. Dies betrifft sowohl die Fixiertheit auf das bestehende System und auf die "Standortpolitik", als auch die konkreten gewerkschaftlichen Handlungsweisen vor allem bei den Tarifrunden sowie die gewerkschaftlichen Strukturen, d. h. ihre innere Verfassung.
Wir setzen nicht auf Sozialpartnerschaft, sondern auf gewerkschaftliche Gegenmacht. Dies bedeutet:
Oberste Leitlinie für das Handeln der Gewerkschaften muß die Verteidigung der Interessen der Lohnabhängigen sein. Nicht die Kapitaleigner und auch nicht die SPD dürfen vor berechtigten Protesten geschont werden.
Die Gewerkschaften müssen demokratisiert werden. Statt z. B. in den
Tarifrunden die Willensbildungsprozesse an der Basis zu akzeptieren, werden
über Presseverlautbarungen und "Orientierungsdaten" Fakten geschaffen,
die durch noch so viele Resolutionen aus aktiven Vertrauenskörpern
nicht mehr umgestoßen werden.
Zur Demokratisierung gehört für uns auch, daß die nicht
vertretbaren Spitzengehälter der Vorstandsmitglieder der meisten Gewerkschaften
drastisch beschnitten werden, um keine Kluft zwischen den realen Lebenslagen
(und damit auch den Interessen) der abhängig Beschäftigten und
ihrer Gewerkschaftsvertreter zuzulassen. Wir wollen nicht, daß Gewerkschaftsfunktionäre,
die uns in der Öffentlichkeit vertreten, z. T. mehr als 4 mal so viel
verdienen wie die oberste Gehaltsklasse der entsprechenden Tarifverträge.
Mit den dadurch frei werdenden Geldern wie auch mit den millionenteuren Schauveranstaltungen bei Gewerkschaftstagen und ähnlichem könnten Stellen besetzt werden, die in den letzten Jahren beim Rückzug aus der Fläche wegrationalisiert wurden. Der Rückzug des DGBs aus der Fläche und vor allem seine politische Entmachtung durch die Spitzen der Einzelgewerkschaften verschärft die Krise der Gewerkschaftsbewegung in der BRD.
Zur Demokratisierung der Gewerkschaften, d. h. um sie lebendig und transparent zu machen, gehört, daß dort alle politischen Richtungen, nicht nur SPD und CDU, ihre Ausdrucksmöglichkeiten finden, ähnlich wie bei den österreichischen Gewerkschaften. Bisher ist der Linken die freie Information und das organisierte Vortragen alternativer Konzepte etwa in Sachen Tarifpolitik weitgehend unmöglich gemacht. Wir beanspruchen das Recht unsere Vorstellungen organisiert und gewerkschaftsöffentlich vorzutragen und dafür zu werben.
Um einen aktiven und erfolgversprechenden Kampf für diese Ziele aufnehmen zu können, müssen die KollegInnen wirklich selbst entscheiden können, wann sie einen Kampf abbrechen und welches Verhandlungsergebnis sie akzeptieren. Wir wollen, daß für die Annahme eines Verhandlungsergebnisses nicht 25% sondern 50% erforderlich sind. Nur wenn die KollegInnen wirklich die Erfahrung machen, daß es auf sie selbst ankommt, auf ihre Eigenaktivität und ausschließlich auf ihre Mehrheitsentscheidung und nur wenn dieser Wille nicht von allmächtigen Vorständen gekippt werden kann, dann wird ihr Engagement und ihr Selbstvertrauen wachsen. Und nur dann werden die Unternehmer unter Druck geraten können. Nur so wird auch die Umstrukturierung der Gewerkschaften einen Sinn ergeben. Ein rein bürokratischer Zusammenschluß mit noch weniger Kompetenzen an der Basis und mit einem noch weiteren Rückzug aus der Fläche kann die Krise der Gewerkschaften nur vergrößern.
Wer wir sind und was wir wollen:
Wir sind ein Zusammenschluß von GewerkschafterInnen mit unterschiedlichen politischen Vorstellungen, aber mit dem gemeinsamen Ziel, die Gewerkschaften wieder handlungsfähig zu machen und bedingungslos die Interessen der Lohnabhängigen zu vertreten.
Wir wenden uns an die Gewerkschaftsöffentlichkeit und darüber hinaus auch an die allgemeine politisch interessierte Öffentlichkeit. Gleichzeitig sind wir ganz entschiedene Verfechter der Einheitsgewerkschaft.
Zu den dringlichsten Aufgaben der Gewerkschaften zählen für uns:
Allen Formen des Rassismus und des Nationalismus muß eine entschiedene Absage erteilt werden. Die KollegInnen im Ausland - ob in Europa oder in der sogenannten Dritten Welt - stehen uns hundert mal näher als ein deutscher Kapitalist. Nur ein international koordiniertes Vorgehen gegen die Politik des Kapitals kann der Globalisierung und dem Neoliberalismus etwas entgegensetzen und dazu beitragen, daß die Kluft zwischen Nord und Süd kleiner wird. Wir wollen, dazu beitragen ,daß Krieg verhindert werden, aber auch, daß die Grenzen für Flüchtlinge geöffnet werden.
Wir machen uns stark für einen aktiven Kampf gegen die sogenannte "Sparpolitik", die bei den Lohnabhängigen, den Arbeitslosen, Sozialhilfempfängern und Rentnern abkassiert. Wir fordern im Gegenteil: Nehmen bei den Reichen.
Im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit - der verheerendsten Geißel mit der wir es in der BRD heute zu tun haben (denn sie beeinflußt ganz wesentlich unsere Lebens- und Kampfbedingungen) ist für uns die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich unter definierten Arbeitsbedingungen die wichtigste Achse, um die sich gewerkschaftliche Politik, d. h. vor allem Tarifpolitik drehen sollte.
Wir verteidigen die öffentlichen Dienste und wollen, daß die Gewerkschaften den Kampf gegen die Privatisierungen aufnehmen.
Wir verteidigen die hälftige Finanzierung der Sozialversicherungssysteme gegen alle Versuche, die Kosten der Sicherungssysteme auf die Lohnabhängigen abzuwälzen. Wir fordern im Gegenteil den Ausbau der Sicherungssysteme auf Kosten des Kapitals.
Um einen erfolgversprechenden Kampf für die Durchsetzung dieser Ziele in den Gewerkschaften aufnehmen zu können, müssen sich die Gewerkschaftslinken koordinieren und demokratisch organisieren. Und nur wenn die Mitgliedschaft insgesamt sich die Gewerkschaften wieder aneignet und sie zu Kampfinstrumenten macht, kann die Gewerkschaftsbewegung ihre Krise überwinden und ihre Existenzberechtigung unter Beweis stellen.
(Nach Diskussion mit verschiedenen KollegInnen ausformuliert für die
Dezember-Tagung der gewerkschaftlichen Linken - am 3. 4. Dezember 1999 in Stuttgart
- eingereicht von Jakob Schäfer)
Dieser Entwurf wurde auf der Sitzung des Arbeitsausschusses vom 1. Oktober 99
vorgelegt und dort kurz diskutiert. Eine abschließende Meinungsbildung
im Arbeitsausschuß fand noch nicht statt. Deswegen:
Diesen Entwurf bitte in der gewerkschaftlichen Linken vor Ort bekannt machen,
diskutieren und eventuell Änderungsvorschläge formulieren)