Frank Deppe: Elemente eines Selbstverständnisses einer Gewerkschaftslinken

Frank Deppe

Elemente eines Selbstverständnisses einer Gewerkschaftslinken

"Der Vorschlag für eine Diskussionsplattform von Bernd Riexinger zeigt Eckpunkte gemeinsamer Positionen auf. Konstituierung einer gewerkschaftlichen Linken als politischer Prozeß würde jedoch nicht bedeuten, daß wir uns schnell auf solche Eckpunkte einigen, sondern daß wir uns auf einen Prozeß der Entwicklung von Positionen der gewerkschaftlichen Linken einlassen, der offen sein muß für eine Reihe von sehr grundsätzlichen Fragen nach dem Selbstverständnis einer radikalen und kapitalismuskritischen - sozialistischen und radikaldemokratischen - Strömung innerhalb der Einheitsgewerkschaften.

Einige - mir notwendig erscheinende - Elemente eines solchen Selbstverständnisses will ich kurz skizzieren:

Eine Gewerkschaftslinke sollte sich (ich verwende eine Formulierung aus der neueren Diskussion in Frankreich) als »plurale Linke« verstehen. Im Blick auf die Geschichte der vergangenen beiden Jahrzehnte halte ich es für wichtig zu betonen, daß ein solcher Pluralismus nur dann als Produktivkraft fungieren kann, wenn er nicht von hegemonialen Bestrebungen bestimmter Richtungen untergraben wird.
Die Gewerkschaftslinke muß sich mit anderen progressiven politischen und sozialen Kräften vernetzen; sie muß sich als Teil eines Blockes progressiver politischer, sozialer und kultureller Kräfte verstehen.
Die Gewerkschaftslinke muß sich von Anfang an als Teil eines internationalen Formierungsprozesses von kapitalismuskritischen Kräften verstehen. Dabei spielt die Vernetzung ihrer Diskussionen und Aktivitäten mit der Gewerkschaftslinken in Europa eine besonders wichtige Rolle.
Im Prozeß der Formierung gibt es zahlreiche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung, die einer Diskussion bedürfen: der Begriff der Arbeiterklasse, der Arbeiterbewegung und der Arbeit selbst; der Begriff der Einheitsgewerkschaft und die Rolle der Parteien; die Bedeutung des Reformismus in der Gegenwart usw.
Gewerkschaften müssen für die Linke auch stets als politischer Raum für die Auseinandersetzung um alternative gesellschaftliche, ökonomische und politische Entwicklungsformen erhalten bleiben - jenseits der Logik des Kapitals, der Profitproduktion und des Marktes.
Eine Gewerkschaftslinke wird nur dann Bestand und Einfluß haben, wenn sie nicht von der Ebene der betrieblichen Interessenvertretung abgehoben oder abgekoppelt ist (sei es intellektuell, sei es aufgrund von Funktionen im Apparat). Der starke Einfluß der neuen Sozialpartnerschaft und des »Wettbewerbskorporatismus« ist auch darauf zurückzuführen, daß er z.T. in der betrieblichen Erfahrung und Wirklichkeit fundiert ist; denn die Betriebsräte müssen unter dem doppelten Druck des Managements (von oben) und der Angst der Belegschaften (von unten) verhandeln. Wenn sie nicht politisch (von der eigenen Gewerkschaft) gestützt werden, ist schon eine wesentliche Voraussetzung für die Akzeptanz der neuen Sozialpartnerschaft erfüllt."

Diese Passage wurde – mit Einverständnis des Autors – entnommen aus: Frank Deppe: Zäsuren im Übergang in das 21. Jahrhundert. Neue Herausforderungen für die Konstituierung einer gewerkschaftlichen Linken, in: Redaktion Sozialismus/Redaktion express (Hrsg.): Perspektiven der Gewerkschaftslinken, Hamburg 1999, Seite 12/13.